Wie Lacktropfen auf Oberflächen kommen

Ein Forschungsprojekt untersucht die Vorgänge beim Auftreffen von Lacktropfen auf Lackoberflächen

Oliver Tiedje, Qiaoyan Ye, Philipp Knee,
Fabian Seeler, Joachim Domnick, Bo Shen

Bei der Spritzlackierung haben die Lacktröpfchen eine Aufprallgeschwindigkeit von etwa 20 bis 30 Metern pro Sekunde – erstaunlich gering, wenn man bedenkt wie schnell sie am Zerstäuber starten. Das Fraunhofer IPA und die Hochschule Esslingen erforschen die zugrundeliegenden Vorgänge.

 

Wassertropfen unterscheiden sich beim Auftreffen prinzipiell von Lacktropfen: Spritzer kommen beim Lackieren nur in extremen Situationen vor (Bild: AdobeStock/prentiss40)

Der Spritzlackierprozess setzt sich zusammen aus der Materialversorgung, der Lackapplikation, dem Ablüften und dem Einbrennen. Dabei stellt die Lack-
applikation den dynamischsten Teilprozess dar, da in kürzester Zeit sehr viel passiert: Es beginnt mit der Erzeugung kleiner Lacktropfen, die im Anschluss unter Abdunstung zum Lackierobjekt fliegen, um dann schließlich auf dem Substrat aufzuschlagen.
Während sich mit der Zerstäubung und dem Tropfenflug viele Untersuchungen beschäftigen, sind im Fall von Lackieranwendungen dem Tropfenaufprall nur wenige grundlegende Studien gewidmet. Dabei ist gerade der Moment des Tropfenaufpralls entscheidend für wichtige Qualitätseigenschaften der lackierten Oberflächen wie Farbeffekt, Appearance oder Lufteinschlüsse. Diese Situation sollte ein Projekt am Fraunhofer IPA und der Hochschule Esslingen verbessern, das in diesem April abgeschlossen wurde.

Abb. 1: Hochgeschwindigkeitsaufnhamen der Kraterentwicklung beim Tropfeneinschlag (v. l. n. r.): Fliegender Tropfen – Krater – Verlauf – fast vollständiges Verschwinden nach circa 0,13 Sekunden (Bild: IPA)

Abgebremst und abgelenkt

Bei der Spritzlackierung entstehen je nach Applikationstechnik unterschiedliche große und schnelle Tröpfchen(siehe Tabelle unten und Abbildung 3 auf Seite 34). Interessanterweise sind die Tropfen in den meisten Fällen relativ langsam, wenn man bedenkt, dass die Tropfen mit 100 bis 200 m/s – so schnell wie ein Flugzeug – am Zerstäuber starten. Die Ursache hierfür liegt in dem Staudruckfeld aus Luft vor dem Lackierobjekt, das die Tropfen verlangsamt und auch ablenkt, was dazu führt, dass viele Tropfen in einem flachen Winkel auftreffen.
Wenn die Tropfen auf das Substrat auftreffen, entsteht durch die Überlagerung der einzelnen Tropfen ein sogenanntes Anfangsgebirge. Gleichzeitig werden sich vorhandene Effektpigmente ausrichten und es kann zum Einschluss von Luft kommen. Dies wurde in dem Projekt durch experimentelle Untersuchungen mittels Hochgeschwindigkeitskamera und numerische Berechnungen mit Hilfe von Computational Fluid Dynamics, kurz CFD, betrachtet.

Ziel der Betrachtungen ist es, Optimierungen sowohl am Lackmaterial als auch an den Prozessbedingungen zu erarbeiten. Es geht darum, Ausschuss durch Lackierfehler zu vermeiden – wie etwa durch Lufteinschlüsse – sowie eine gute Appearance zu erzielen. Dies umfasst neben dem Glanzgrad auch eine geringe Welligkeit, auch Orange Peel genannt – sowie je nach Lack einen starken Perl- oder Metall-
Effekt. Außerdem gilt es, Lackanhäufungen wie  Läufer und Fettkanten zu vermeiden, ebenso wie Magerstellen an Kanten mit daraus resultierenden funktionalen Mängeln – zum Beispiel in Form von Kantenkorrosion.

Methoden

Die hier angewandten numerischen Simulationen beruhen auf der Fluiddynamik, im Speziellen der Volume-of-Fluid-, beziehungsweise VOF-Methode: Der Simulationsbereich wird hierbei in kleine Volumenelemente zerlegt, wobei für jedes Element und jeden Zeitschritt berechnet wird, zu wieviel Prozent das Volumen mit Lack gefüllt ist. Dabei ist in besonderem Maße die reale Rheologie – insbesondere das scherverdünnende Verhalten – von Lacken zu berücksichtigen. Eine generelle Herausforderung bei Simulationen entsteht, wenn unterschiedliche Zeitskalen eine Rolle spielen: Dynamik des Tropfenaufpralls in wenigen Millisekunden und Lackfilmverlauf in mehreren Minuten. Dies wird dadurch gelöst, dass die Aufpralldynamik mit der oben beschriebenen CFD-Simulation durchgeführt wird, das langsamere Verlaufen jedoch mit dem „PaintVisco“-Modell, in das die komplexen visko-elastischen Eigenschaften von Lacken einfließen.

Bei den experimentellen Methoden ist die genaue Bestimmung der Materialeigenschaften entscheidend. Neben der Bestimmung der Oberflächenspannung und Rheologiemessungen mittels Rotationsviskosimeter ist hier vor allem die Verwendung des Kapillarviskosimeters relevant. Mit diesem können auch die hohen Scherraten erreicht werden, die beim Zerstäuben und beim Aufprall des Tropfens entstehen. Bei typischen Scherraten von mehr als 1/s-1 reduziert sich die Viskosität von vielen Lacken auf weniger als 20 mPas, was sich dann auf das Fließverhalten und auch auf die Entlüftung der Lacktröpfchen und Lackschicht günstig auswirkt.

Des Weiteren setzt das Fraunhofer IPA in diesem Projekt die Laserbeugung zur Bestimmung der Größe der Tröpfchen, Laser-Doppler-Messungen zur Geschwindigkeitsmessung und eine Hochgeschwindigkeitskamera zur Visualisierung der Aufpralldynamik ein. Bei letzterer Methode benötigt man hier einerseits eine sehr schnelle Kamera – zum Beispiel 32.000 Bilder pro Sekunde – und anderer-
seits eine sehr hohe Auflösung von wenigen Mikrometern pro Pixel. Untersucht wurden damit zum einen der definierte Aufprall eines Einzeltropfens – wie beim oversprayfreien Beschichten – und zum anderen Lacksprays unter Verwendung  kommerzieller Zerstäuber. Beim Auftreffen ergeben die einzelnen Tröpfchen ein „Gebirge“ (siehe Abbildung 2), das dann in der Ablüftzeit und im Ofen allmählich mehr oder weniger gut verläuft. Je stärker strukturiert das „Gebirge“ ist, umso mehr Orangenhaut kann dann am Ende auch die Lackoberfläche aufweisen.

Abb. 2: Beim Auftreffen entsteht durch die Überlagerung der einzelnen Tropfen ein „Anfangsgebirge“. Gleichzeitig werden sich vorhandene Effektpigmente ausrichten und es kann zum Einschluss von Luft kommen (Bild: IPA)

Lackfilmstruktur

So ergibt sich in der Regel beispielsweise, dass eine feinere Zerstäubung zu einem geringeren „Gebirge“ führt und damit zu einer besseren Lackfilmstruktur, vor allem im langwelligen Bereich. Anders als beim Gebirge sind die Berge hier nicht besonders hoch, nämlich nur wenige Mikrometer.

Das Projekt brachte aber noch weitere Details zu Tage, so zeigte sich, dass ein auftreffender Tropfen einen Krater erzeugen kann, wenn er in einen bereits existierenden nassen Lackfilm einschlägt (siehe Abbildung 1). Die Größe des Kraters ist dann ein Faktor für die auftretenden Wellenlängen der Orangenhaut, das heißt , ob eher eine Kurzwelligkeit oder Langwelligkeit entsteht.
In den Simulationen zeigen sich verschiedene Phänomene beim Auftreffen des Lacktropfens auf den Lackfilm: Sehr langsame Tropfen setzen sich einfach sanft auf den Film, schnellere schlagen einen Krater und sehr schnelle bei niedriger Viskosität zeigen eine Krone wie man sie von Regeltropfen in der Pfütze kennt. Zu Spritzern kommt es bei der Lackierung nur in extrem seltenen Situationen.

Lufteinschlüsse

Wenn ein großer Tropfen einschlägt, kann darunter Luft in Form kleiner Blasen eingeschlossen werden (siehe Abbildung 5). Wenn diese Blasen nicht entweichen können – wobei die Entschäumer im Lack helfen sollen –, sondern erst sehr spät im Lacktrockner durch den fast festen Lack stoßen, bilden sich Lackierfehler, Nadelstich genannt. Aus den Simulationen ergab sich, dass vor allem große, schnelle und hochviskose Tropfen zu starkem Lufteintrag beitragen. Die Luft entweicht insbesondere dann nur langsam, wenn die Blasen das Substrat berühren. Durch die Oberflächenspannung „kleben“ die Blasen an der Grenzfläche und können sich gleichzeitig nur parallel zur Grenzfläche gut bewegen, wodurch infolge Zusammenwachsen größere Blasen entstehen können.

Praktische Prozessoptimierungen können also erreicht werden, indem die Lackrheologie so gesteuert wird, dass bei extrem hohen Scherraten von 100.000 s-1 die Viskosität unter 20 mPas fällt und große Tropfen vermieden werden. Letzteres kann bei der Hochrotationszerstäubung zum Beispiel durch Verwendung eines geeigneten – gerändelten – Glockentellers erreicht werden oder durch Parameteranpassung wie dem Verhältnis von Farbmenge zu Drehzahl.

Pigmentorientierung

Als letztes Thema hat sich das Projekt der Orientierung von Effektpigmenten angenommen. Es ist gelungen, in das Simulationsmodell auch flächige Pigmente zu integrieren, wie sie für Metallic- oder Perleffekte genutzt werden (siehe Abbildung 4). Zusammen mit der Ausrichtung während des Filmschrumpfes ist die Orientierung der Pigmente entscheidend für die Stärke des angestrebten Effektes. Auch hier bestimmen wiederum Größe und Auftreffgeschwindigkeit der Tropfen, ob das Pigment vor der anschließenden Trocknung eine Anfangsorientierung besitzt, oder im Moment des Impacts vollständig zufällig orientiert wird.

Für alle angesprochenen Themen ist die Viskosität neben der Oberflächenspannung die entscheidende Eigenschaft des Lackes. Dabei ist die Bestimmung der relevanten Viskosität durchaus komplex. Zunächst führt der Tropfenflug zu einem Abdunsten von Lösemitteln oder Wasser, wodurch sich die Viskosität erhöht. Anschließend tritt in den ersten Millisekunden des Auftreffens eine starke Strömung mit hohen Scherraten auf, wodurch die Viskosität bei strukturviskosen Lacken wieder massiv absinkt. Zudem werden auch sogenannte Dehnströmungen wirksam, die sich ebenfalls auf das Fließverhalten auswirken (Dehnviskosität). Je nach Thixotropie des Lackes erholt sich die Viskosität dann wieder in Sekunden oder Minuten.

Ein weiterer Stellhebel ist der dynamische Kontaktwinkel, also die Art und Weise, wie die Kontaktlinie zwischen Lack und Substrat voranschreitet: Es zeigt sich (siehe Abbildung 4), dass der Winkel zwischen Lack und Untergrund beim Ausbreiten ein anderer ist, als bei dem Zusammenziehen, das in der Regel kurz nach dem Aufprall zu beobachten ist.

Abb. 4: Simulation der Pigmentorientierung beim Spritzlackieren. Die Ausrichtung während des Filmschrumpes ist ein entscheidender Faktor (Bild: IPA)

Fazit

Beim Spritzlackierprozess sind Bruchteile von Sekunden für viele Eigenschaften eines Lackfilms entscheidend. Je nach Größe und Geschwindigkeit der Tropfen kann im Moment des Tropfenaufpralls der Grundstein für Farbe, Appearance und Lackierfehler gelegt werden. Applikationsparameter wie die Feinheit der Zerstäubung und Lackeigenschaften sowie die komplexen Rheologie-Einstellungen sind dabei Stellhebel, um die Qualität bestmöglich zu steuern.

 

Fraunhofer-Institut für Produktionstechnik und Automatisierung IPA
www.ipa.fraunhofer.de