Strukturwandel in der Lackiererei
Mehr Flexibilität, Alternativen zum starren Linienkonzept und mehr Individualität im Paintshop
Bisher war es in der automobilen Großserienproduktion alternativlos, dass Rohkarosserien wie an einer Perlenschnur aufgefädelt auf einem Skid in die Lackiererei einfahren und nach Abschluss der Lackierung nach zahlreichen Stationen am Ende genauso aufgereiht wieder herauslaufen. Jede Abweichung von der Standardabfolge der Prozesse kostet in erheblichem Maße Zeit, Produktivität – und meist auch Invest in zusätzliche Fördertechnik. Wenn es darum geht, sehr viele Produkte, die sich sehr ähnlich sind, zu beschichten, ist eine solche starre Fertigungslinie unschlagbar effizient.So wurde noch vor einigen Jahrzehnten im Automobilbau ein nahezu idealer Serienbetrieb realisiert, weil die Automobilhersteller von einem Modell ein oder höchstens zwei Karosserievarianten im Angebot hatten. Man nutzte sogar die Möglichkeit, die Anzahl der Farbwechsel zu reduzieren, indem die Karosserien nach Farben vorsortiert wurden.
Diese Zeiten sind jedoch lange vorbei und nicht nur die Anzahl der Karosserievarianten hat sich seitdem vervielfacht, auch das Verlangen der Kunden nach Individualisierung sowohl im Innen- wie im Außenbereich wächst ungebremst.
Darüberhinaus treibt der Strukturwandel in Richtung E-Mobilität die Typenvielfalt weiter nach oben. Damit gerät das bisher übliche Konzept einer Lackierlinie immer häufiger zu einer Gratwanderung zwischen Variantentauglichkeit und Kosteneffizienz. Deshalb ist davon auszugehen, dass bei zukünftigen Layouts in der Lackiererei flexible, intelligent vernetzbare und bedarfsgerecht skalierbare Prozessmodule eine zunehmende Rolle spielen werden. Wie ein solches Konzept aussehen könnte, zeigte Dürr bei seiner virtuellen Openhouse-Veranstaltung Ende 2021 anhand eines virtuellen Modells, bei dem sich die Besucher ähnlich wie in einem Computerspiel innerhalb einer Lackiererei bewegen konnten.
RFID-Technologie beugt
Fehlern bei der Wartung vor
Ob im Glockenteller, im Lenkluftring, in der Turbine oder im Zerstäuber, die RFID-Technologie hilft bei der neuen Zerstäubergeneration dabei, die Prozesse direkt in der Lackierkabine und in der Instandhaltung zu verbessern. Die von Dürr eingesetzten Transponder erlauben es, Betriebsdaten direkt auf den Komponenten zu speichern und Bauteile sowie deren Betriebszyklen eindeutig nachzuverfolgen. Die Nutzungsdauer von Bauteilen lässt sich so optimal ausschöpfen und Wartungszeitpunkte vorausschauend zu planen. Auch typische Fehlerquellen, wie nach einer Reinigungspause falsch zugeordnete Glockenteller oder Lenkluftringe, lassen sich so eliminieren. Denn das System erkennt das inkompatible Bauteil und warnt den Bediener noch bevor der Lackiervorgang startet. Das erhöht die Anlagenverfügbarkeit und die First-Run-Rate. Ein weiteres hilfreiches Feature ist ein im Roboter integrierter Schwingungssensor, der Unwuchten an Glockenteller und Turbine erkennt, bevor sie zu Schäden führen. Die Verfügbarkeit erhöht außerdem ein neuer Roboterschutzstrumpf mit patentiertem Befestigungskonzept, der Verschmutzungen verringert, sodass mindestens vier Stunden lang lackiert werden kann, ohne den Zerstäuber reinigen zu müssen.
Parallel und flexibel
statt seriell und starr
„Flexibilität, Kosteneffizienz und Nachhaltigkeit sind die wichtigsten Anforderungen, die Hersteller heute an den Lackierprozess stellen. Das erfüllen wir mit unserem Konzept der Lackieranlage der Zukunft, indem wir die Einschränkungen der starren Produktionslinie überwinden. Die rund 120 Arbeitsschritte laufen in skalierbaren Modulen oder kleinen Abschnitten ab – und zwar parallel und zeitlich exakt an den Bedarf der einzelnen Karosserie angepasst“, erklärte Jochen Weyrauch, CEO der Dürr Systems AG. Dadurch lassen sich Kapazitäten ohne größere Umbaumaßnahmen erweitern und auch unterschiedlichste Fahrzeugvarianten durch den Lackierprozess schleusen – sogar Einzelstücke innerhalb der laufenden Produktion.
Eine wichtige Rolle zur Verknüpfung der einzelnen Stationen spielt hierbei das inzwischen auch schon praxiserprobte fahrerlose Transportsystem EcoProFleet, das erste speziell für Lackierereien entwickelte AGV (Automated Guided Vehicle). In Kombination mit einem Hochregallager ermöglicht das AGV eine intelligente Materialflusssteuerung entlang des kompletten Prozesses – ohne dass klassische Fahrwege mit unzähligen Rollen, Antriebsmotoren und entsprechendem Wartungsaufwand notwendig sind. Noch dazu können überraschend ausfallende AGVs schnell ersetzt werden, ohne dass es zu einem Stillstand der Produktion kommt. Ganz im Gegensatz dazu führt ein Defekt an der Fördertechnik in einer klassischen Lackierlinie – sofern eine Reparatur nicht schnell genug möglich ist, unweigerlich zum Anlagenstopp.
Fördervorgänge reduzieren
Das neue Boxenlayout der Lackierkabine EcoProBooth ist optimal für ein Linienkonzept geeignet, bei dem die Karosserien per AGV transportiert werden. Denn das Auftragen der Primer- und Basecoat-Schichten – und zwar sowohl den Innen- und die beiden Außenaufträge – kann in nur einer Kabine zusammenfasst werden. Dadurch entfallen zwei der in Standardlösung bisher üblichen drei Fördervorgänge. Außerdem kann die EcoProBooth als Standardkabine mit der gleichen Roboterausstattung sowohl im Basislack als auch im Klarlack eingesetzt werden – für unterschiedlichste Karosserien vom Kleinwagen bis zum Pick-up.
Künstliche Intelligenz
in der Lackiererei
Gerade bei modularen Paintshop-Konzepten kommt dem reibungslosen Ineinandergreifen der einzelnen Prozesse entscheidende Bedeutung zu, hierfür sorgt Dürr mit der DXQ-Software-Familie. Ein wichtiges Tool ist in diesem Kontext DXQplant.analytics, das mithilfe von KI-Algorithmen und Machine-Learning-Modulen Sensordaten, Meldungen und Informationen bereitstellt und gezielt auswertet. Das unterstützt die Qualitätsverantwortlichen dabei, frühzeitig Zusammenhänge zu erkennen, um Fehler zu vermeiden und die First-Run-Rate zu erhöhen. Durch eine Feedback-Funktion lernt der Algorithmus ständig dazu, sodass Vorhersagen etwa zum Wartungsbedarf (Predictive Maintenance) oder Qualitätsstatus Quality Prediction) immer präziser werden.
Zerstäuber – neu gedacht
Um das Boxenkonzept weiter zu optimieren, hat Dürr mit der EcoBell4 einen neuen Zerstäuber entwickelt, der sowohl für die Innen, als auch die Außenlackierung geeignet ist. Erst dadurch lässt sich das Potenzial der EcoProBooth-Lackierkabine voll ausschöpfen – denn so lassen sich alle Lackieraufgaben mit der Variante EcoBell4 Pro Ux in nur einer Box erfüllen. Mit ein und demselben Glockenteller-/Lenkluftring- und Außenaufladungssystem ist es möglich, sowohl die Innen-, Außen- und Metalliclackierungen (Bell/Bell-Prozess) ohne qualitative Nachteile zu applizieren.
Der Zerstäuber kann den Sprühstrahl für Arbeiten im Innenbereich der Karosserie entsprechend fokussieren und auf der Außenhaut mit breiten Sprühstrahlen effizient größere Flächen lackieren. Eine bemerkenswerte Neuerung ist außerdem die patentierte, ablegbare und in ihrem Wirkungsgrad verbesserte Außenaufladung, die innerhalb der Pro-Serie individuell kombinierbar ist.
Statt Taktzeit während der Zerstäuberreinigung zu verlieren, lassen sich verschmutzte Elektrodenringe einfach ablegen und gegen einen sauberen in einer Wartungsbox, einem sogenannten Service-Cubicle, austauschen – ohne dass die Anlage stoppen muss. Da diese kleinen Wartungsboxen mit Frischluft gespült werden, ist ein Betreten während des Lackierervorganges zulässig.
Darüber hinaus arbeitet die Ecobell4 mit einer neuen 4-Hauptnadel-Technologie, wodurch das patentierte System Farbwechsel bei bis zu vier High-Runner-Farben in jeweils nur vier Sekunden durchführen kann. Von der 4x 1K-Lackierung im Basislack bis hin zu 3x 2K-Lösungen im Klarlack – sowie alle Kombinationen dazwischen – sind möglich. Außerdem senken die verkürzten Spülwege die Lack- und Spülmittelverluste – sie sind laut Dürr so gering wie bei keinem anderen am Markt verfügbaren Zerstäuber.
RFID-Technologie beugt
Fehlern bei der Wartung vor
Ob im Glockenteller, im Lenkluftring, in der Turbine oder im Zerstäuber, die RFID-Technologie hilft bei der neuen Zerstäubergeneration dabei, die Prozesse direkt in der Lackierkabine und in der Instandhaltung zu verbessern. Die von Dürr eingesetzten Transponder erlauben es, Betriebsdaten direkt auf den Komponenten zu speichern und Bauteile sowie deren Betriebszyklen eindeutig nachzuverfolgen. Die Nutzungsdauer von Bauteilen lässt sich so optimal ausschöpfen und Wartungszeitpunkte vorausschauend zu planen. Auch typische Fehlerquellen, wie nach einer Reinigungspause falsch zugeordnete Glockenteller oder Lenkluftringe, lassen sich so eliminieren. Denn das System erkennt das inkompatible Bauteil und warnt den Bediener noch bevor der Lackiervorgang startet. Das erhöht die Anlagenverfügbarkeit und die First-Run-Rate. Ein weiteres hilfreiches Feature ist ein im Roboter integrierter Schwingungssensor, der Unwuchten an Glockenteller und Turbine erkennt, bevor sie zu Schäden führen. Die Verfügbarkeit erhöht außerdem ein neuer Roboterschutzstrumpf mit patentiertem Befestigungskonzept, der Verschmutzungen verringert, sodass mindestens vier Stunden lang lackiert werden kann, ohne den Zerstäuber reinigen zu müssen.
Oversprayfrei lackieren –
die nächste Generation
Kontrastfarben auf Dachflächen oder A- und C-Säulen, Streifendesigns oder diffizile Elemente wie Schriftzüge: Die Ansprüche der Kunden an Design und Individualität in der Automobilproduktion steigen unaufhaltsam. Kontrastlackierungen sollen flexibel mit verschiedenen Farben und Lackarten auf diverse, auch vertikale Flächen aufgebracht werden, ohne das Karosseriedesign ändern zu müssen oder den Fertigungsprozess zu behindern. Noch dazu sollen Produktionskosten und Ressourcenverbrauch niedrig gehalten werden. Hierfür hat Dürr seinen EcoPaintJet zur Pro-Version weiterentwickelt. Bisher war die Kontrastdachlackierung mit dem EcoPaintJet bereits die erste Serienanwendung der oversprayfreien Lackapplikation in der Automobilindustrie. Jetzt ist es mit der weiterentwickelten Pro-Version möglich, auch sehr komplexe Karosserieflächen wie beispielsweise vertikale Flächen oder A- und C-Säulen zu lackieren sowie individuelle Designelemente aufzutragen – maskierungsfrei
und vollautomatisch.
Das Herzstück der neuen Applikationstechnologie ist der Applikator EcoPaintJet Pro, der mittels dutzenden, kaum sichtbaren Einzeldüsen mit einem Durchmesser von etwa einem Zehntelmillimeter parallele Lackstrahlen aus einem Abstand von bis zu 25 Millimetern auf die Karosserie richtet. Dabei landen 100 Prozent des Lacks ohne Verluste auf der Oberfläche und zweifarbige Lackierungen ohne Maskierung sind schneller und ressourcenschonender möglich. Dass sich die Düsen unabhängig voneinander in Sekundenbruchteilen schließen und öffnen lassen, eröffnet völlig neue Designmöglichkeiten. Dazu gehören das Aufbringen von Zierstreifen oder Kontrastfarben. Der EcoPaintJet Pro schafft auch einen direkten Übergang zwischen flächiger Beschichtung und Mustern.
Schnelle Farbwechsel ohne Abfall
Die Konstruktion des Applikators verhindert außerdem, dass sich an kritischen Stellen Lack ablagern kann – entscheidend für einen schnellen und verlustarmen Wechsel zwischen zwei Farbtönen. Wichtig ist diese Eigenschaft auch bei der Verarbeitung von 2K-Lacken, denn kleinste Reste würden unweigerlich dauerhaft die feinen Düsen verstopfen. Um die Beschichtungsqualität abzusichern, reinigt sich der Applikator-Kopf regelmäßig in dem EcoPaintJet Cleaner, der alle Reinigungs- und Spülvorgänge in einem geschlossenen System durchführt und somit jegliche Emissionen in die Kabine verhindert. Verarbeitbar sind sowohl lösemittelbasierte als auch wasserbasierte 1K- und 2K-Lacke.
Die komplexen Geometrien der zu lackierenden Karosserieteile sowie die durch das Verfahren notwendige hohe Präzision stellt höchste Anforderungen an die 3D-Vermessung und Programmierung der Roboterbahnen. Deshalb unterstützt DXQ3D.onsite die Bediener bei der Konfiguration der Prozessparameter und die Software errechnet die Lackierbahnen automatisch. Vor der Lackierung erfasst eine erste Messung etwaige Ungenauigkeiten der Fördertechnik oder des Karosserierohbaus. Ein zweiter, am Roboter montierter Sensor misst die Abweichung der zu lackierenden Karosserie zum Referenzmuster im Bereich weniger Zehntel Millimeter.
Höchste Präzision bei Vermessung und Applikation
Die Robotersteuerung passt anschließend die Lackierbahnen in Echtzeit an. Nach einer vollautomatischen Prüfung des Strahlbilds werden im Beschichtungsprozess Geschwindigkeit und Neigungswinkel des Applikators so gesteuert, dass die Farbe stets gleichmäßig aufgetragen wird und kein Overspray entsteht. Trotz hochkomplexer Steuerung übernimmt die Elektronik sämtliche kritischen Prozesse.
Nicht nur in Neuanlagen, sondern auch in bestehenden Werken bietet der EcoPaintJet Pro Automobilherstellern die Option, oversprayfreie Applikationen zu integrieren. Hierzu stehen verschiedene Möglichkeiten zur Verfügung, die für unterschiedliche Positionen in der Lackierabfolge geeignet sind. So kann der Kontrastlack sowohl auf den zwischengetrockneten Basislack, als auch als Einschichtdecklack auf den eingebrannten Klarlack appliziert werden. Insgesamt hat eine solche maskierungsfreie Two-Tone-Lackierung einen weitaus geringeren Platz- und Energiebedarf als eine vergleichbare, konventionelle Zweifarblinie. Berechnungen zeigen Energieeinsparungen von bis zu 32 Prozent auf. Pro Karosserie können dadurch bis zu 33 kg CO2 eingespart werden. Ohne Overspray ist zudem zumindest in diesem Applikationschritt keine Lackabscheidung notwendig und die übrige Karosserie muss nicht mit Folie abgeklebt werden, sodass große Mengen Abfall eingespart werden. Noch dazu sinken die Durchlaufzeiten und es lässt sich gegenüber anderen mehrfarbigen Prozessen eine bessere Auslastung der Lackieranlagen erreichen.
„Drucken statt Sprayen ist die Zukunft der Automobillackierung,“ ist sich Dr. Lars Friedrich, President & CEO Application Technology Dürr Systems AG, sicher. „Auch bei vertikalen Flächen kommen wir ganz ohne Overspray und Maskierung aus. Hinsichtlich Kosteneffizienz und Nachhaltigkeit hat Dürr mit dem EcoPaintJet so einen weiteren Schritt in die richtige Richtung gemacht.“ Das neue Verfahren wird derzeit bei einem renommierten bayerischen Automobilhersteller in die Fertigung integriert und soll in der zweiten Jahreshälfte 2022 in der Serien-
produktion eingesetzt werden.
Damit hat der renommierte Anlagenbauer wichtige Technologien für die zukünftigen Herausforderungen in der Automobilindustrie entwickelt und
serientauglich gemacht.
► Dürr Systems AG
► www.durr.com