Neues aus Anwendung und Forschung

Gelungenes Comeback für die ZVO-Oberflächentage nach der Zwangspause

305 Teilnehmer kamen nach Berlin, um anden Oberflächentagen in Präsenz teilzunehmen, 45 nahmen online teil (Bild: CB)

Nach eineinhalb Jahren Veranstaltungspause fanden erstmals wieder die ZVO-Oberflächentage im Estrel Kongresszentrum in Berlin statt. Die Veranstaltung war etwas kleiner als gewohnt – doch die Stimmung war gut und konstruktiv.

Nach eineinhalb Jahren Veranstaltungspause fanden vom 22. bis 24. September 2021 erstmals seit dem Beginn der Pandemie wieder die ZVO-Oberflächentage im Estrel Kongresszentrum in Berlin statt. Nachdem in der Planungsphase der Veranstaltung eine Zeit lang nicht sicher war, ob eine Abendveranstaltung möglich sein würde, war die Einladung zum Meet & Greet am ersten Abend des 22. September zum Auftakt der Veranstaltung eine schöne Überraschung. Trotz der einzuhaltenden Sicherheitsvorschriften sorgte nach der langen Coronapause das Wiedersehen mit den Branchenkollegen für eine fröhliche, beinahe ausgelassene Stimmung

Hybride Veranstaltung

Den ersten Vortragstag eröffnete der ZVO-Vorsitzende Walter Zeschky pünktlich um acht Uhr in Saal 1 und begrüßte die Teilnehmer. Da der Jahreskongress als Hybrid Edition veranstaltet wurde, konnten sich neben den 305 Präsenzteilnehmern auch 45 Onlineteilnehmer in 48 Vorträgen oder an den Ständen der 42 Aussteller über technologische Entwicklungen, Trends und Innovationen in der Galvano- und Oberflächentechnik informieren. Damit blieben zwar in diesem  Jahr auch bei den ZVO-Oberflächentagen die Teilnehmerzahlen deutlich hinter den Erwartungen zurück – eine Erfahrung, die auch schon viele andere Veranstaltungen in diesem Jahr machen mussten. Dies hatte aber keinen negativen Einfluss auf die Stimmung und die Qualität der Veranstaltung.

So zeigte sich Zeschky in seiner Eröffnung zuversichtlich, im nächsten Jahr in Leipzig wieder an gewohnte Teilnehmerzahlen anknüpfen zu können. Er ging auch darauf ein, dass aktuell die Branche nicht nur durch die Auswirkungen der Pandemie belastet ist, sondern zusätzlich den Herausforderungen durch den Technologiewandel bei Energieerzeugung und -nutzung gegenübersteht. Vor allem die Störung der Lieferkette macht den Unternehmen zu schaffen sowie der Paradigmenwechsel in der Automobil-
industrie hin zur Elektromobilität. Trotz dieser gewaltigen Herausforderungen des Marktes seien die Aussichten für die Oberflächentechnik jedoch hoffnungsvoll – auch in Zukunft würden nahezu alle Produkte nicht ohne eine qualitativ hochwertige Oberfläche auskommen.

Als nächstes zeigte Dr. Martin Kurpjoweit am Beispiel des Unternehmens WHW den Wandel der Oberflächentechnikbranche in den vergangenen Jahrzehnten auf. Das Unternehmen wurde 1937 noch als Kleinbetrieb gegründet, der dann 1977 zu dem heutigen Standort umzog und sich inzwischen zu einem Industrieunternehmen mit sieben Standorten entwickelt hat.

Drei Vortragsreihen

Nach dem Einführungsblock starteten die drei parallelen Vortragsreihen, in denen jeweils unterschiedliche Schwerpunkte gesetzt wurden. So stand am Donnerstagvormittag Klimaneutralität auf der Agenda und die Vorträge beschäftigten sich mit der Dekarbonisierung in der Zirkularität als Geschäftsmodell sowie der Energieeffizienz galvanotechnischer Systeme. Unter der Rubrik Edelmetalloberflächen für Hightech-Produkte präsentierte die Firma Biconnex ein neues Verfahren, um mit minimalen Verlusten Edelmetallbeschichtungen herzustellen – zum Beispiel bei Einweg-EKG-Elektroden, hier müssen versilberte Kunststoffelemente eingesetzt werden.

Das etablierte Verfahren arbeitet galvanisch in einer Trommel. Die Herausforderung dabei ist, dass Chrom(VI) für diese Anwendung in der EU nicht mehr zugelassen ist. Noch dazu können die Silberverluste je nach Badkonzentration bei über 11 Prozent liegen. Hier bietet ein Verfahren auf Basis von Tinten mit Edelmetallprekursoren, die im Niederdruck Plasma zu Metallen reduziert werden, eine interessante Alternative. Ein Nachteil ist bisher aber die im Vergleich zu einer galvanischen Beschichtung nicht so hohe Haftfestigkeit, was in dieser Anwendung jedoch kein Problem darstellt.

Digitalisierung in der Galvanotechnk

Gut besucht war auch der Themenblock Digitalisierung in der Galvanotechnik. Hier stellte als Einführung Peter Schwanzer für das Fraunhofer IPA das derzeit laufende Verbundprojekt SmARtPlaS vor, in dessen Zuge unter anderem eine Lern- und Forschungsanlage für Entwicklungsarbeiten und Pilotanwendungen rund um die Industrie 4.0 aufgebaut wird. Auch Ergebnisse zum Einsatz neuer Sensoren zur vorbeugenden Wartung wurden vorgestellt. Interessant war der Ansatz zur Weiterentwicklung der Stoffbilanzierung über die reine Verschleppungsbetrachtung hinaus, indem auch Metallabscheidung, Metallauflösung sowie Abbau und Verbrauch von Substanzen miteinbezogen werden.

Interessant war auch ein Beitrag von Michael Hellmuth von Softec, der neben den zahlreichen Aspekten der Industrie 4.0 rund um die Produktionsplanung auch deutlich machte, dass die Wettbewerbsvorteile,  die sich aus der Nutzung der Industrie 4.0 und von künstlicher Intelligenz ergeben, ab 2024 zügig abnehmen werden, weil natürlich immer mehr Unternehmen auf den Zug aufspringen werden. Christine Maier von Schlötter stellte anhand von Praxisbeispielen neue digitale Anwendungen aus dem eigenen  Hause speziell für die Galvanotechnik vor und veranschaulichte die möglichen Verknüpfungen der analogen und digitalen Welt sowie die daraus resultierenden Vorteile für die Betriebsführung.

Unter dem Thema Von der Prozessüberwachung zur Produktqualität ging es unter anderem um die schnellere und genauere XRF-Schichtdickenmessung. Dr. Cay-Uwe Pinnow stellte für Helmut Fischer eine wichtige Neuerung vor: den Einsatz von Polykapillaroptiken bei der Röntgenfluoreszenz (XRF)-Schichtdickenmessung, welche die Vermessung dünner Schichten bis in den Nanometerbereich bei gleichzeitig lateraler Auflösung kleiner 20 μm erlaubt. Durch die hohe Anregungsintensität soll auch bei kurzer Messzeit im Vergleich zu Geräten mit einer Kollimatoroptik eine exzellente Wiederholpräzision erreicht werden. In Verbindung mit einer (Teil-)Automatisierung ist ein hochproduktiver und kostensparender Einsatz auch in der Serie möglich.

Aber auch Lösungsansätze für Probleme durch Biofilme und Algen in Wasserkreislaufsystemen wurden thematisiert. Alois Kinateder von GusChem erläuterte anhand von Praxisbeispielen, wie sich teilweise durch einfache Maßnahmen wie die Entleerung von Behältern vor Betriebspausen oder die Lufteinblasung, um anaerobe Bereiche zu verhindern, oder ein regelmäßiges Entfernen von Kalkbelägen Probleme lösen lassen. In hartnäckigen Fällen sollte eine Umstellung der Prozesschemikalien oder der Einsatz von Bioziden erwogen werden.

Die jungen Kollegen berichteten aus aktuellen Forschungsprojekten und hier im Detail über die Diagnostik von plasmaelektrolytischen Oxidationsprozessen sowie von langzeitstabilen, vorformulierten Legierungskatalysatoren für Hochleistung-PEN-Brennstoffzellen. Auch der Einfluss von Carbonsäuren auf die galvanische Abscheidung von Chrom aus dreiwertigen Chromelektrolyten wurde behandelt. Auch anwendungsnahe Zukunftstechnologien, wie die dritte Generation der dekorativen Beschichtung aus trivalenten Chromelektrolyten zum Beispiel für Sanitäranwendungen aus Messing und Zinkdruckguss, kamen zur Sprache. Hier stellte unter anderem Diego Dal Zilio von Coventya die Eigenschaften des sulfatbasierten Prozesses Tristar vor, der sich durch ein hohes Streuvermögen und vor allem in der Kombination mit Tristar Shield durch hohe Beständigkeit gegen chemische Einflüsse auszeichnet.

Auch wenn im Verlauf der Veranstaltung das anfangs bei vielen noch sehr ausgeprägte Distanzbewusstsein etwas nachließ, war doch stets ein zusätzlicher Schritt Abstand zu beobachten (Bild: CB)

Björn Stroh von Atotech beschäftigte sich mit dem Thema Beizinhibitoren, warum deren Einsatz sinnvoll ist und warum sie entgegen dem landläufigen Gefühl nicht dem eigentlichen Beizprozess im Wege stehen. Diesbezüglich präsentierte er einige anschauliche und ausführliche Untersuchungen. So konnte gezeigt werden, dass moderne Beizinhibitoren aufgrund ihrer Selektivität Materialabtrag des Substrates sowie Wasserstoffdiffusion in das Kristallgitter verhindern. Gleichzeitig wird aber der Säureangriff auf die anorganischen Kontaminationen wie Oxide und Zunder nicht abgemildert. Dadurch bleibt der Beizprozess genauso effizient wie ohne Inhibitoren, erzielt aber trotzdem eine gleichmäßigere Oberfläche. Da sich der Metalleintrag des Substrates in die Beizlösung reduziert, verbessert sich gleichzeitig die Standzeit der Bäder. Neuartige Inhibitoren erreichen Wirkungsgrade von über 98 Prozent und können so eine wasserstoffversprödungsfreie Vorbehandlung ermöglichen.

Normung lebt vom Mitmachen

Einen sehr umfassenden und fundierten Blick in das Thema Normung lieferten mit Rainer Paulsen und Janine Winkler zwei Fachleute vom DIN-Institut. Der Vortrag machte deutlich, dass Normung ein sehr komplexes Thema ist und dass es sich lohnt, sich als Unternehmen am Normungsprozess zu beteiligen. Denn letztendlich fallen Normen nicht einfach vom Himmel, sondern werden in der Zusammenarbeit vieler Fachleute definiert. Insofern steht es jedem Unternehmen frei, sich selbst zu beteiligen und so Einfluss auf die Entwicklung und Weiterentwicklung von Normen zu nehmen.
Einen Erfahrungsbericht über die wasserbasierende Zinklamellentechnologie im Serieneinsatz auf Pkw-Fahrwerkskomponenten eines großen OEMs lieferte Andreas Tolz von NOF. Dabei ging es um eine Korrosionsbeschichtung für zweischalige, geschweißte Querlenker. In der konkreten Anwendung wurde letztendlich die Zinklamellenbeschichtung als einziges Verfahren für den Querlenker freigegeben, da sie als einzige alle Qualitätsanforderungen des OEMs erfüllte oder übertraf.

Palladium-Rückgewinnung

Dr. Anika Basuer und David Zapf stellten für Hansgrohe ein interessantes Konzept zur Palladium-Rückgewinnung in der Kunststoffgalvanik vor. Im Ergebnis konnte ein Wirkungsgrad von 60 Prozent bei der Abreicherung von Palladium erreicht werden. Bei der Behandlung aller palladiumhaltigen Stoffströme erbrachte die Anlage monatlich 23.000 Euro beziehungsweise neun Prozent des gesamten Palladiumsverbrauchs.
Chemisch-Nickel-Schichten als Hartchromalternative waren das Thema von Jürgen Mayer von De Martin. Standard-Chemisch-Nickel-Diamantschichten werden mit etwa 2 µm großen Partikeln hergestellt und können extremen Verschleiß beim Reibpartner hervorrufen. Mayer referierte in diesem Zusammenhang über die Vorzüge von Submicron-Partikeln und zeigte anhand von Versuchsergebnissen, dass bei Diamant-Partikelgrößen von 0,5 µm ein hoher Verschleißschutz bei abrasiver Beanspruchung und gleichzeitig geringer abrasiver Wirkung auf den Gegenkörper entsteht. Das klingt sehr gut, allerdings ist es eine Herausforderung, die Diamant-Partikel in dem entsprechenden Größenspektrum herzustellen.

Über die Perspektiven des Hochgeschwindigkeitslaserauftrags-Schweißens referierte Dr. Sabrina Vogt von Trumpf. Der Vorteil bei dem Verfahren, bei dem der pulverförmige Zusatzwerkstoff bereits oberhalb des Schmelzbades auf das Laserlicht trifft, sodass es noch auf dem Weg zum Bauteil bis nahe an das Schmelzbad erhitzt wird, reduziert die Wärme Einfluss-
zone auf dem Substrat um den Faktor 20 bis 100. Gleichzeitig steigt die mögliche Vorschubgeschwindigkeit um den Faktor 50. Die Oberflächenrauigkeiten sinken erheblich um den Faktor zehn. Insbesondere bei der Beschichtung rotationssymmetrischen Teile lässt sich so eine erhebliche Produktivitätserhöhung erreichen. Als Einsatzmöglichkeiten thematisierte sie den Hartchrom Ersatz sowie die Beschichtung von Hydraulikkomponenten sowie von Wellen oder Schäften.

Auch das Thema Chrom(III) kam aus den unterschiedlichsten Blickwinkeln zur Sprache, zum Beispiel im Zusammenhang mit der Chrom(VI)-Substitution. Zum Beispiel beschäftigte sich Peter Bötcher von Surtec mit den aktuellen Anforderungen und Weiterentwicklungen der Chrom(III)-Schichtsysteme und zeigte, dass ein direkter Ersatz sechswertiger Chromverfahren in der dekorativen Galvanotechnik möglich ist. Auch ging er auf eine sich in der Entwicklung befindliche, neuartige Cr(VI)-freie Vorbehandlung für Kunststoffbauteile ohne Permanganate ein.

48 Vorträge und ein breites Themenspektrum

Darüber hinaus gab es noch zahlreiche Vorträge rund um das Thema Nachhaltigkeit und Ressourcenschonung sowie Prozessoptimierung – von innovativen Gestellbeschichtungen für die Kunststoffgalvanisierung über hochwertigen Oberflächen für die Automobilindustrie bis hin zur borsäurefreien Glanz-Nickelabscheidung und außenstromlosen Chromabscheidung. Insofern boten auch in diesem Jahr die ZVO-Oberflächentage mit insgesamt 48 Vorträgen sehr vielfältige Informationen und Themen. Damit waren die Oberflächentage trotz der für Präsenzveranstaltungen nach wie vor schwierigen Umstände ein wichtiger Meilenstein hin zu mehr Normalität und einer besseren Perspektive für die Zukunft. 2022 werden die ZVO-Oberflächentage vom 14. bis 16. September in Leipzig stattfinden.  CB