Sicherer Betrieb von Lackieranlagen: Maßnahmen und Anforderungen nach DGUV 209-046
Betreiber von Lackieranlagen sowie Sicherheitsbeauftragte stehen vor der Herausforderung, umfangreiche Anforderungen an den Brand- und Explosionsschutz zu erfüllen. Die DGUV Information 209-046 liefert hierfür klare Handlungsanweisungen. Hier erfahren Sie wichtige Aspekte über notwendige Schutzmaßnahmen, Dokumentationspflichten und Instandhaltungsanforderungen im Lackierbetrieb.
1. Warum ist die DGUV Information 209-046 für Lackierbetriebe wichtig?
Die DGUV 209-046 konkretisiert gesetzliche Vorgaben aus der Arbeitsschutzgesetzgebung, der Gefahrstoffverordnung und der Betriebssicherheitsverordnung. Ihr Ziel: die Minimierung von Brand- und Explosionsrisiken beim Verarbeiten flüssiger Beschichtungsstoffe.
2. Schritt-für-Schritt: Gefährdungsbeurteilung und Explosionsschutzdokument
2.1 Gefährdungen erkennen
Ermitteln Sie typische Gefahren wie Lösemitteldämpfe, Aerosole und elektrostatische Aufladungen. Wichtig ist hierbei, nicht zu oberflächlich zu bleiben, sondern stets die denkbar ungünstigsten Rahmenbedingungen mit dem höchsten Risikopotential zu betrachten. Werden in diesem Bereich im Nachhinein Fehler festgestellt, kann das gesamte Explosionsschutzdokument in Frage gestellt werden - im Schadensfall mit katastrophalen juristischen Folgen für die Beteiligten.
2.2 Maßnahmen ableiten
Aus den erkannten Gefährdungen müssen zwingend Maßnahmen abgeleitet und zeitnah umgesetzt werden. Dabei gilt es, das Risiko von Vorfällen soweit wie möglich zu reduzieren. Das bedeutet, technische Maßnahmen bieten häufiger eine höhere Sicherheit gegen Risiken und Fehlverhalten der Mitarbeiter, als organisatorische Regeln. Doch das lässt sich nicht verallgemeinern, beides muss zusammenspielen.
- Technische Schutzmaßnahmen planen (z. B. Lüftung, Ex-geschützte Geräte)
- Organisatorische Regeln aufstellen (z. B. Zutrittskontrollen, Arbeitsanweisungen)
2.3 Explosionsschutzdokument erstellen
Sind die Gefährdungen und Maßnahmen erkannt und umgesetzt, folgt die Erstellung des Explosionsschutzdokumentes. Hier werden die Erkenntnisse und Maßnahmen zusammengefasst und außerdem Prüfpflichten und Nachweise definiert, die sicherstellen, dass im alltäglichen Betrieb nicht davon abgewichen wird. Hier müssen also auch die Zoneneinteilung, Schutzmaßnahmen, Prüfpflichten und Nachweise gemäß ATEX 1999/92/EG enthalten sein.
3. Genehmigungen und rechtliche Rahmenbedingungen
Bereits die Errichtung einer Lackieranlage kann genehmigungspflichtig sein – insbesondere dann, wenn bestimmte Mengenschwellen überschritten werden. Diese Schwellenwerte beziehen sich sowohl auf den Verbrauch als auch auf die Art der eingesetzten Stoffe.
Nach der 31. Verordnung zur Durchführung des Bundes-Immissionsschutzgesetzes (31. BImSchV) ist eine Anzeigepflicht erforderlich, wenn:
mehr als 15 Kilogramm pro Stunde oder
mehr als eine Tonne pro Jahr an organischen Lösemitteln verwendet werden.
Dabei geht es nicht nur um reine Lösemittel, sondern um alle Stoffe, die flüchtige organische Verbindungen (VOC) freisetzen – also z. B. Lösungsmittel in Lacken, Reinigern oder Verdünungen.
Darüber hinaus kann eine Genehmigung nach §4 BImSchG erforderlich sein, wenn in der Anlage pro Tag mehr als 150 Kilogramm organische Lösemittel eingesetzt werden. Diese Grenze betrifft vor allem mittelgroße bis große Anlagen in der industriellen Beschichtung.
Ergänzend dazu greift die Betriebssicherheitsverordnung (BetrSichV):
Sobald in einer Anlage explosionsgefährliche Stoffe oder Atmosphären auftreten können, handelt es sich um eine "Überwachungsbedüftige Anlage". Für diese sind neben einer Gefährdungsbeurteilung auch besondere Prüfpflichten vorgesehen, z. B. vor der Inbetriebnahme und regelmäßige im laufenden Betrieb (siehe TRBS 1201).
4. Technische Schutzmaßnahmen im Lackierbetrieb
In Lackieranlagen treffen hochentzündliche Stoffe auf elektrische Energie, Druckluftsysteme, mechanische Prozesse und häufig auch auf ungeschultes Personal. Um die Risiken zu minimieren, kommt den technischen Schutzmaßnahmen eine zentrale Rolle zu. Sie sind das Rückgrat des vorbeugenden Explosionsschutzes – noch vor organisatorischen und persönlichen Maßnahmen.
4.1 Anforderungen an Lackierräume
Lackierräume – sei es eine klassische Spritzkabine oder ein abgetrennter Nassbereich – müssen in ihrer baulichen und technischen Ausführung bestimmten Grundanforderungen genügen:
Bauweise mit feuerhemmenden Materialien: Trennwände, Decken und Türen müssen aus mindestens feuerhemmenden Baustoffen (Baustoffklasse F30 oder besser) bestehen. Brandlasten sollten konsequent reduziert werden – etwa durch geeignete Bodenbeläge, die keine brennbaren Rückstände speichern.
Druckentlastungseinrichtungen: Bei der Gefahr einer explosionsfähigen Atmosphäre ist sicherzustellen, dass sich im Ereignisfall Druckwellen in eine ungefährliche Richtung entlasten können – z. B. durch definierte Berstflächen oder -klappen nach DIN EN 14491. Solche Systeme verhindern, dass sich die Druckwelle innerhalb der Werkhalle oder zu benachbarten Arbeitsbereichen fortpflanzt.
Zuluft- und Ablufttechnik: Eine klare Luftführung ist unerlässlich, um Aerosole und Dämpfe schnell und gezielt abzuführen. Die Luftführung muss so gestaltet sein, dass keine toten Zonen entstehen, in denen sich explosionsfähige Gemische anreichern können. Gleichzeitig muss die Zuluft strömungstechnisch so geführt sein, dass sie das Personal nicht direkt kontaminiert (z. B. durch Rückströmung).
Dauerbetrieb oder Sicherheitsabschaltung: Absaugungen müssen im Betrieb dauerhaft laufen oder durch Sicherheitssteuerungen automatisch aktiviert werden, wenn beschichtet wird. Filterelemente müssen regelmäßig kontrolliert und getauscht werden – ein typischer Schwachpunkt in vielen Betrieben.
Praxistipp:
Viele kleinere Kabinen verzichten auf geregelte Zuluft – was nicht nur arbeitsrechtlich problematisch ist, sondern auch zu Unterdruckproblemen führen kann. Dadurch kann kontaminierte Luft aus der Kabine in angrenzende Bereiche gezogen werden.
4.2 Explosionsschutz konkret umsetzen
Die Umsetzung des Explosionsschutzes beginnt mit der Zoneneinteilung gemäß ATEX-Richtlinie (2014/34/EU). Innerhalb explosionsgefährdeter Bereiche (Zone 0, 1, 2 bzw. 20, 21, 22) gelten folgende technische Maßnahmen als unverzichtbar:
Nur geeignete Betriebsmittel einsetzen:
Alle elektrischen und mechanischen Geräte, die in Ex-Zonen betrieben werden, müssen entsprechend zertifiziert sein (z. B. EX II 2G oder EX II 2D). Das umfasst unter anderem:Ventilatoren
Leuchten
Sensoren
Steuerungskomponenten
Pumpen und Dosiersysteme
Erdung und Potentialausgleich sicherstellen:
Abfüllstellen, Gebinde, Spritzgeräte und Schlauchleitungen müssen leitfähig miteinander verbunden und geerdet sein. Elektrostatische Aufladungen – etwa beim Umfüllen oder Reinigen – können andernfalls zu Z\u00fcndquellen werden. Besonders bei Pulverbeschichtungen mit elektrostatischer Applikation ist ein konsequenter Potentialausgleich unerlässlich.Vermeidung von Zündquellen:
Heiße Oberflächen (>200 °C), mechanisch erzeugte Funken (z. B. durch defekte Lager oder Scheuern metallischer Teile), offene Flammen oder elektrische Lichtbögen sind typische Zündquellen. Diese müssen systematisch ausgeschlossen werden – durch temperaturgeregelte Komponenten, funkenfreie Werkstoffe oder automatische Abschaltungen bei Fehlern.Verwendung von EX-geschützten Absaugsystemen:
Besonders bei der Verarbeitung lösungsmittelhaltiger Lacksysteme ist sicherzustellen, dass die Absaugung EX-konform erfolgt. Dazu zählen explosionsgeschützte Lüftermotoren, leitfähige Filtermedien und gegebenenfalls Funkenvorabscheider.Kontrollsysteme zur Erkennung gefährlicher Zustände:
Moderne Anlagen nutzen Gassensoren oder VOC-Messsysteme, um frühzeitig auf gefährliche Konzentrationen hinzuweisen. Eine automatische Abschaltung oder Warnung bei Grenzwertüberschreitungen erhöht die Betriebssicherheit deutlich.
Praxisbeispiel:
In einem Betrieb wurde eine neue Pumpe zur Förderung von Lösemittellack installiert – allerdings ohne EX-Zulassung. Die Ursache war schlicht Unwissen: Der Einkauf hatte „nach optischer Übereinstimmung“ bestellt. Erst eine externe Beratung brachte den Mangel ans Licht – bevor es zum Schaden kam.
5. Brandschutzorganisation: Verantwortung richtig aufteilen
Explosions- und Brandschutz sind eng miteinander verzahnt. Eine funktionierende Brandschutzorganisation ist deshalb nicht nur gesetzlich vorgeschrieben, sondern auch zentraler Bestandteil der gelebten Betriebssicherheit.
Gemäß Arbeitsstättenverordnung sowie DGUV Vorschrift 1 muss jeder Betrieb – abhängig von Größe und Gefährdungspotenzial – ausreichend geschulte Brandschutzhelfer bereitstellen. Die Faustregel lautet: Mindestens 5 % der Belegschaft, bei erhöhter Brandgefahr entsprechend mehr.
Zusätzlich wird ab einer gewissen Betriebsgröße oder Brandlast dringend empfohlen (und teils von Versicherern gefordert), einen Brandschutzbeauftragten zu benennen. Diese Person koordiniert:
die Planung und Durchführung von Brandschutzübungen,
die Schulung der Mitarbeiter,
die Kontrolle von Flucht- und Rettungswegen,
die Dokumentation von Feuerlöscherprüfungen und Alarmplänen.
Praxisbeispiel: In einem Lackierbetrieb mit zehn Mitarbeitern wurde erst nach einem kritischen Zwischenfall ein Brandschutzhelfer benannt – und dieser wusste im Ernstfall nicht, wo sich der nächste Feuerlöscher befand. Solche Situationen sind vermeidbar.
Evakuierungsübungen sollten mindestens einmal pro Jahr stattfinden – inklusive Überprüfung der Alarmierungseinrichtungen und der Sammelstellenorganisation
6. Lagerung und Bereitstellung von Beschichtungsstoffen
Die unsachgemäße Lagerung von Lösemitteln und Pulvern birgt ein massives Risiko. Dabei sind die Anforderungen an Lagerräume und -systeme klar geregelt:
Tagesvorräte im Lackierbereich müssen auf das unbedingt notwendige Mindestmaß begrenzt sein. Eine offene Kanistersammlung unter der Werkbank ist ein No-Go.
Lager für brennbare Flüssigkeiten (z. B. Lösemittel, Verdünnungen) müssen:
belüftet,
brandschutztechnisch abgetrennt,
mit Auffangwannen ausgestattet sein,
und über explosionsgeschützte Beleuchtung und Lüftung verfügen (je nach Gefährdungsbeurteilung).
Für Pulverlacke gelten ähnliche Anforderungen, insbesondere bezüglich Staubexplosionsschutz, Verpackungseinheiten, Temperaturkontrolle und trockener Lagerung.
Praxisfehler: Oft wird vergessen, dass auch verschlossene Gebinde durch diffundierende Dämpfe eine zündfähige Atmosphäre bilden können – insbesondere bei sommerlicher Hitze oder defekter Lüftung.
7. Betrieb, Wartung und Reparaturen: Pflichten im Detail
Ein sicherer Betrieb setzt ein konsequentes Wartungs- und Instandhaltungskonzept voraus. Dabei unterscheidet man zwischen Regelbetrieb, planmäßiger Wartung und Arbeiten in Ex-Zonen.
7.1 Regelbetrieb
Betrieb nur bei funktionierender Belüftung: Bei Ausfall der Absaugung ist das Lackieren sofort zu stoppen.
Wöchentliche Reinigung: Besonders Filterflächen, Gitterroste, Schläuche und Kabineninnenflächen müssen regelmäßig gereinigt werden. Pulveransammlungen sind eine unterschätzte Explosionsquelle.
7.2 Instandhaltung und Prüfungen
Lüftungsanlagen: Mindestens jährliche Wartung nach Herstellervorgabe.
Explosionsgeschützte Geräte: Spätestens alle 3 Jahre durch eine zur Prüfung befähigte Person oder ZÜS.
Schutzeinrichtungen: z. B. Druckentlastungen, Löschsysteme – entsprechend TRBS 1201 kontrollieren.
7.3 Arbeiten in Ex-Zonen
Freimessen vor Beginn: Konzentration von brennbaren Stoffen messen.
Erlaubnisscheinverfahren: Arbeiten mit Funkenbildung (z. B. Schleifen, Schweißen) nur mit schriftlicher Genehmigung.
Temporäres Aufheben von Zonen: Nur unter Auflagen und mit klarer Dokumentation zulässig.
Tipp: Selbst kleine Reparaturen können sicherheitsrelevant sein. Wer z. B. ein Ersatzteil einbaut, das nicht für Ex-Zonen zugelassen ist, riskiert einen Totalschaden mit Personenschaden.
8. Dokumentation: Welche Unterlagen müssen vorliegen?
Sicherheit ist nur so viel wert wie ihre Dokumentation. Im Schadensfall zählt nicht, was „immer schon gut ging“, sondern was nachweislich festgehalten wurde. Folgende Unterlagen sind verpflichtend (und sollten jährlich auf Aktualität geprüft werden):
Explosionsschutzdokument nach Gefahrstoffverordnung (GefStoffV)
Gefährdungsbeurteilungen für Arbeitsbereiche und Verfahren
Betriebsanweisungen für gefährdete Tätigkeiten
Wartungs- und Instandhaltungsnachweise
Nachweise über Schulungen und Unterweisungen
Hinweis: Die DGUV-Information 213-106 enthält praxisgerechte Vorlagen für viele dieser Dokumente.
9. Fazit: So gelingt der sichere Betrieb Ihrer Lackieranlage
Ein durchdachtes Sicherheitskonzept ist mehr als nur ein Papierwerk. Es ist ein gelebtes System aus Technik, Organisation und Verhalten. Wer systematisch dokumentiert, regelmäßig wartet und Mitarbeitende sensibilisiert, schafft nicht nur einen sicheren Arbeitsplatz, sondern auch eine belastbare Grundlage gegenüber Behörden, Versicherungen und im Fall der Fälle vor Gericht.
Der Aufwand ist in vielen Fällen überschaubar, die Wirkung enorm. Denn: Gute Vorbereitung verhindert nicht nur Schaden, sondern sichert auch die Zukunftsfähigkeit des Betriebs.
Weitere Informationen und Hilfen bietet unter anderem die DGUV-Information 209-046 sowie die Empfehlung zur Betriebssicherheit EmpfBS 1114.