Atmosphärendruckplasma: Grenzflächenmodifikation von Werkzeugstahl
Plasma trifft Stahl: Möglichkeiten zur Modifikation und Verbesserung von Oberflächeneigenschaften

Atmosphärendruck-Plasmaprozesse ermöglichen eine gezielte Modifikation von Stahloberflächen, wodurch hohe Reinigungseffekte und Adhäsionseigenschaften, etwa gegenüber Klebstoffen oder Beschichtungen, erzielt werden können.
Plasmatechnologie
Um die Adhäsion zwischen Kunststoff und Werkzeug beim Spritzgießen zu reduzieren, werden antiadhäsive Beschichtungen auf das Werkzeug aufgetragen. Damit eine gute Adhäsion zwischen Beschichtung und Werkzeugstahl erreicht werden kann, muss der Stahl vorbehandelt werden. Dazu kann die Plasmatechnologie verwendet werden. Diese lässt sich grob in Hoch-, Nieder- und Atmosphärendruck-Plasma unterteilen. Beim Atomsphärendruckplasma wird das Plasma unter Umgebungsdruck gezündet.
Ein signifikanter Vorteil dieser Methode ist die Inline-Fähigkeit, wodurch eine Reduktion der Kosten und des Prozesszeitaufwands erzielt werden können. Darüber hinaus ermöglichen die unterschiedlichen Entladungstechniken und Gaszusammensetzungen vielfältige Modifikationsmöglichkeiten der Oberfläche. Allerdings können die Wechselwirkungen mit den Umgebungspartikeln die Prozessstabilität beeinträchtigen und die Behandlung ungünstig beeinflussen, weshalb konstante Umgebungsbedingungen notwendig sind. Für die durchgeführten Untersuchungen wurde die Plasmajetverfahrensvariante ausgewählt. Diese zeichnet sich durch den Einsatz einer Zentralelektrode und einer darüber liegenden Ringelektrode aus, die gleichzeitig als Gehäuse dient. Eine Hochspannung an der Elektrode führt zu einer Bogenentladung zwischen Elektrode und geerdetem Gehäuse.
Abgesehen von den Primärelektronen der Hintergrundstrahlung kommt es durch die starke thermische Last auf der Kathode zur Emission weiterer Elektronen. Diese werden durch den Einfluss der Feldstärke zur Anode bewegen. Der entstehende Lichtbogen zwischen Anode und Kathode überführt das durchströmende Prozessgas in den Plasmazustand.

Versuchsdurchführung
Die Bewertung der Veränderung der Oberflächeneigenschaften durch die Plasmabehandlung erfolgt mittels einer 180°-Schälzuguntersuchung, die den Standards der DIN EN ISO 8510-2 entspricht. Die Untersuchungen wurden an einer Universal-Zugprüfmaschine (Typ: Z010, Hersteller: ZwickRoell GmbH & Co. KG, Ulm; 1) durchgeführt (siehe Abbildung 1).
Für den starren Prüfkörper wird der Werkzeugstahl 1.2311 (3) verwendet. Vor der Behandlung ist eine Reinigung mit einem fusselfreien Baumwolltuch ohne Zusätze von Reinigungsmitteln erforderlich. Im Anschluss an die Plasmabehandlung erfolgt die Applikation eines Klebebandes (tesafilm® kristall-klar; 2), das mit einem Acrylat-Haftklebstoff versehen ist, mit konstanter Anpresskraft.
Basierend auf den Untersuchungen von Müllhoff, welcher die Anwendbarkeit dieser Untersuchungsmethode auf einer Polypropylen Oberfläche gezeigt hat, wird nun die Übertragbarkeit auf eine Stahloberfläche erprobt. Diese Methode ermöglicht eine schnelle Untersuchung der Grenzflächenmodifikation.
Ergebnisse der Schälzuguntersuchung
Zuerst wurde ein Screening durchgeführt, um die signifikanten Prozessparameter zu ermitteln. Dazu wurde die Spannung zwischen 260 und 300 V, die Plasma-Cycle-Time (kurz: PCT) von 50 bis 100 %, der Volumenstrom zwischen 20 und 60 l/min, der Düsenabstand zwischen 5 und 15 mm und die Düsengeschwindigkeit zwischen 100 und 500 mm/s stufenlos variiert. Weiterhin wurden Düsen mit einem Düsendurchmesser von 4, 5 und 6 mm verwendet.
Für die Auswertung wurden fünf Schälzuguntersuchungen durchgeführt. Anschließend wurde ein Mittelwert über die Maximalwerte (Abbildung 2; Ws,max) der fünf Schälzuguntersuchungen gebildet. Basierend auf den Ergebnissen wird ein Modell aufgestellt. Dabei wird eine Varianzanalyse durchgeführt, wobei Einflussgrößen mit einem p-Value größer als 0,1 aus dem Modell soweit entfernt werden, sodass das Modell möglichst kurz aber dennoch präzise ist. Ein Datenpunkt in dem Diagramm (Abbildung 3) zeigt den gemittelten maximalen Schälwiderstand für eine Kombination der Prozessparameter.

Zur Gegenüberstellung der einzelnen Ergebnisse werden die vom Modell vorhergesagten und die ermittelten Schälwiderstände in einem "Predicted vs Actual"-Diagramm (Abbildung 3) dargestellt. Eine Trendlinie veranschaulicht die Übereinstimmung zwischen der Prognose und dem ermittelten Wert. Die Abweichung von der Trendlinie fungiert als Indikator für die Präzision der Prognose. Eine signifikante Abweichung von den Erwartungen kann demnach als Indikator für eine eingeschränkte Treffsicherheit des Modells interpretiert werden.
Die in den Schälzuguntersuchungen ermittelten Daten erlauben die Generierung eines Perturbationsdiagramms (Abbildung 4), welches auf einem zuvor erzeugten Modell basiert. Die Steigung der einzelnen Graphen veranschaulicht den Einfluss des jeweiligen Prozessparameters. Eine geringe Steigung, wie sie beispielsweise in der Geraden A für die Spannung zu beobachten ist, kann als Indikator für einen geringen Einfluss des Parameters interpretiert werden. Aufgrund des hohen p-Values des PCT-Werts in dem Modell, wurde dieser entfernt und wird somit nicht im Pertubationsdiagramm dargestellt. Für nachfolgenden Untersuchungen wurde der Wert konstant auf 50 % festgelegt.


Aufbauend auf den Untersuchungen und dem Modell des Screenings wurden weitere Untersuchungen durchgeführt. Dabei wurde der Bereich der Spannung auf 260, 280, 300 und 320 V erhöht. Der Bereich des Volumenstroms wurde auf 15, 20, 25 und 30 l/min, des Düsenabstands auf 2 und 5 mm und der Düsengeschwindigkeit auf 25, 50, 75 und 100 mm/s verringert. Aufgrund instationärer Plasmazündung der 6 mm Düse wurde diese nicht weiter betrachtet, sondern nur noch die Düsen mit einem Durchmesser von 4 und 5 mm. Die Untersuchungsreihe wurde vollfaktoriell durchgeführt. Der Vergleich zwischen den Untersuchungspunkten erfolgte, wie in dem oben genannten Modell, anhand des Mittelwerts der Maximalwerte der Schälwiderstände.
Es konnte festgestellt werden, dass niedrigere Geschwindigkeiten tendenziell zu höheren Widerständen führen. Jedoch führt eine Erhöhung des Volumenstroms bei höheren Geschwindigkeiten ebenfalls zu einer Zunahme des Schälwiderstands. Bei einer Spannung von 260 V wurde eine Geschwindigkeit von 25 mm/s als optimal für die Erzielung höchster Schälwiderstände identifiziert. Es konnte festgestellt werden, dass eine Geschwindigkeit von 100 mm/s in Kombination mit einem geringen Volumenstrom zu einer Abnahme der Schälwiderstände führt.
Ein vergleichbarer Trend manifestiert sich bei einer Spannung von 300 V, wobei eine Geschwindigkeit von 75 mm/s zu geringeren Schälwiderständen führt als 25 mm/s. Die Erhöhung des Düsendurchmessers auf 5 mm resultiert in einer Verschiebung des Optimums, sodass ein Wert von 50 mm/s die höchsten Schälwiderstände erzielt. Dies unterstreicht die Relevanz dieses Parameters. Bei einer Geschwindigkeit von 25 mm/s und 50 mm/s zeigen sich Unterschiede im Schälwiderstand bei unterschiedlichen Spannungen, während der Einfluss der Spannung bei höheren Geschwindigkeiten weniger eindeutig ist. Die vorliegenden Ergebnisse weisen darauf hin, dass geringe Geschwindigkeiten in Kombination mit einem hohen Volumenstrom und einer höheren Spannung zu maximalen Schälwiderständen führen.
Neben der Verfahrgeschwindigkeit ist auch der Düsendurchmesser von entscheidender Relevanz. Eine Düse mit 5 mm Durchmesser in Kombination mit einem größeren Düsenabstand von 5 mm, im Vergleich zu 2 mm Düsenabstand, weist insgesamt höhere Schälwiderstände auf, insbesondere bei höheren Verfahrgeschwindigkeiten. Eine Reduzierung der Spannung von 300 V auf 260 V resultiert in einer gesteigerten Effektivität bei geringeren Geschwindigkeiten. Die Veränderung des Düsenabstands zwischen 2 mm und 5 mm zeigt tendenziell bei einem Düsendurchmesser von 4 mm eine geringe Einflussnahme. In den meisten Fällen zeigt sich jedoch, dass ein Düsenabstand von 5 mm zu höheren Schälwiderständen führt. Bei zu geringem Düsenabstand kann ein größerer Staupunkt entstehen, wodurch die Effektivität der Plasmabehandlung abnimmt.
Darüber hinaus wird der Einfluss der Spannung in Abhängigkeit vom Volumenstrom untersucht. Die höchsten Schälwiderstände werden bei einer Spannung von 300 V und einem Volumenstrom von 30 l/min beobachtet. Ein geringer Volumenstrom von 15 l/min in Kombination mit niedrigen Spannungen kann ebenfalls hohe Schälwiderstände erzeugen, was auf einen höheren Ionisationsgrad als bei hohen Volumenströmen hinweisen könnte. Die Erhöhung der Düsengröße auf 5 mm resultiert in einer Steigerung der Schälwiderstände. Dabei sind insbesondere die Spannungen von 280 V und 300 V für die höchsten Schälwiderstände verantwortlich. Ein Volumenstrom von 20 l/min oder 30 l/min bleiben dabei in beiden Fällen optimal. Allerdings weisen die Ergebnisse bei einer größeren Düse eine stärkere Streuung auf, was auf die Existenz weiterer Einflussfaktoren hindeutet.
Abschließend wird der Einfluss des Düsenabstandes in Relation zum Volumenstrom betrachtet. Es zeigt sich, dass ein Volumenstrom von 30 l/min die höchsten Schälwiderstände erzielt, unabhängig von der Düsenkonfiguration. Weiterhin nimmt auch der Schälwiderstand in dieser Untersuchungsreihe bei einem Düsenabstand von 5 mm tendenziell zu. Dies könnte auf eine weniger ausgeprägteren Staupunktströmung zurückzuführen sein. Die gewählte Spannung von 300 V bestätigt ihren positiven Einfluss auf die Schälwiderstände, insbesondere in Kombination mit einem größeren Düsendurchmesser. Die Ergebnisse der Untersuchung zeigen, dass sowohl der Volumenstrom als auch der Abstand der Düsen signifikante Einflussfaktoren auf die Schälwiderstände darstellen.

Ergebnisse der Fluoreszenzanalyse
Die vorliegende Untersuchung befasst sich mit der Anwendung einer Fluoreszenzanalyse zur Evaluierung des Reinigungseffekts einer Plasmabehandlung von Metallen, bei der die Kontamination durch organische Verbindungen, wie Schleifmitteln (Öle und Fette), eine signifikante Rolle spielt. Der Fluoreszenz-Scanner ist ein Gerät, das die Oberfläche punktweise mit einem UV-Laser abtastet. Bei einer Wellenlänge von ca. 405 nm zeigen eine Vielzahl organischer Materialien, wie Fette, Öle, Klebstoffe und Trennmittel, eine signifikant erhöhte Fluoreszenzaktivität.
Diese Stoffe sind in der Lage, einen Teil des UV-Lichts in sichtbares Licht umzuwandeln. Dieser Prozess wird als Lumineszenz bezeichnet und entsteht durch die Emission von Licht durch Atome, welche zuvor in einen energetisch angeregten Zustand versetzt wurden. Demgegenüber zeigen die meisten anorganischen Materialien, insbesondere Metalle, dieses Verhalten nicht. Die Messung dieser Substanzen kann mithilfe der spektralen Filterung vorgenommen werden, da die Fluoreszenz der Substanzen eine kontrastreiche und eindeutige Messung ermöglicht. Infolgedessen ist es möglich, bereits geringe Mengen an organischen Substanzen pro Quadratmeter zu identifizieren, unabhängig davon, ob es sich um eine Kontamination oder eine gewünschte Belegung, wie beispielsweise eine Beölung, handelt.
Die Auswahl der Plasmaprozessparameter für die diversen Untersuchungspunkte der Fluoreszenzanalyse wurde unter Zuhilfenahme der ermittelten Schälwiderstände getroffen. In diesem Zusammenhang wurden Parameterkombinationen, welche hohe, mittlere und niedrige Schälwiderstände ergaben, analysiert, um eine Verknüpfung der Oberflächenreinigung mit der Adhäsion herzustellen.
Im Rahmen der durchgeführten Untersuchung wurde ein Schälwiderstand mit durchschnittlichen Werten ermittelt. Die Messung erfolgte unter den folgenden Parametern: eine Spannung von 280 V, ein Volumenstrom von 15 l/min, eine Verfahrgeschwindigkeit von 50 mm/s, ein Abstand der Düsen von 2 mm sowie ein Durchmesser der Düse von 5 mm. Die Auswertung ergab einen intensiven Reinigungseffekt. Die Ergebnisse zeigen, dass die Plasmabehandlung von Stahloberflächen sowohl einen Reinigungseffekt als auch eine Festigkeitssteigerung in Bezug auf den Schälwiderstand bewirkt (siehe Abb. 5).
Zusammenfassung und Ausblick
Es konnte nachgewiesen werden, dass die Atomsphärendruck-Plasmabehandlung einen Einfluss auf die Werkzeugstahloberfläche sowie auf die Grenzflächeneigenschaften zwischen Stahl und Klebstoff hat. Die erhöhte Haftwirkung kann als Indikator für diese Effekte betrachtet werden. Ein weiterer Aspekt, der zu dieser erhöhten Haftwirkung beiträgt, ist der Reinigungseffekt und damit das Abtragen von Oberflächenverschmutzungen. Für die Auswahl der Prozessparameter der Plasmaerzeugung sind insbesondere die Spannung, die Verfahrgeschwindigkeit und die Düsengröße von entscheidender Relevanz. Es ist jedoch zu beachten, dass auch die übrigen Parameter den gewählten Größen angepasst werden müssen, um eine erfolgreiche Reinigung und Aktivierung der Oberfläche zu gewährleisten. Die Fluoreszenzanalyse demonstriert, dass Einstellparameter, welche einen mittleren Schälwiderstand zwischen Metalloberfläche und Klebstoff erzeugen, ausreichend sind, um die Oberfläche effektiv von organischen Verschmutzungen zu reinigen.
Autoren: Prof. Dr.-Ing. Elmar Moritzer; Dennis Rauen, M.Sc.; Justin Hoppe, B.Sc.