Neue Grundlacklinie in Neckarsulm

Dünnschicht-Vorbehandlung, Rotationstauchen und Quertrocknung – ein wichtiger Schritt in die Zukunft

Es gab guten Grund zu feiern bei der Eröffnung der neuen Grundlacklinie bei Audi in Neckarsulm: In der neu gebauten Halle kommen Technologien zum Einsatz, die den Standort Neckarsulm deutlich effizienter und somit fit für die Zukunft machen.

15.000 Kubikmeter ausgehobene Erde, 2.600 gesetzte Bohrpfähle, 1.100 Tonnen verbauter Stahl und 13.700 Kubikmeter Beton: Nach zwei Jahren Bauzeit steht das neue Gebäude A22 mit einer Grundfläche von 12.000 Quadratmetern. Audi stellt im Bereich der Oberflächentechnik den Standort Neckarsulm neu auf und investiert in diesem Zusammenhang in großem Umfang in eine Modernisierung und teilweise Erneuerung der Lackiererei. Am 16. Oktober 2024 konnte nun die Einweihung mit mehr als 200 geladenen Gästen aus Politik, Presse sowie von Audi und seinen Zulieferern gefeiert werden. Fred Schulze, Werkleiter am Standort Neckarsulm: ,,Mit der Investition in die neue Anlage stellt Audi die Weichen, um den Kurs in Richtung E-Mobilität fortzusetzen und um den Standort Neckarsulm auf eine nachhaltige Zukunft auszurichten. Das Bauprojekt ist ein wichtiger Meilenstein innerhalb der Werkentwicklung und Teil einer zukunftsfähigen Infrastruktur für die Produktion.“

Auch Rainer Schirmer, Vorsitzender des Betriebsrats, lobt: ,,Mit der runderneuerten Lackiererei verfügen wir über eine der fortschrittlichsten Anlagen in der Automobilindustrie mit modernen Arbeitsbedingungen. Diese Investition unterstreicht unser Engagement für Nachhaltigkeit und sichert die Zukunftsfähigkeit unseres Standorts.“

In der neuen Anlage werden sowohl Verbrenner als auch E-Modelle in einer vollautomatisierten Anlage grundiert, dazu gehören alle Modelle, die am Standort Neckarsulm und in den benachbarten Böllinger Höfen produziert werden, unter anderem der neue Audi A5, der kommende Audi A7, die Modelle von Audi Sport sowie aktuelle und kommende vollelektrische Modelle.

Dabei erfolgt die Vorbehandlung erstmals mit einem neuen Dünnschichtverfahren, wodurch sich die frühere Phosphatierung erübrigt. Der neue Prozess macht mehrere bisher benötigte Prozessschritte wie etwa die Aktivierung und Passivierung überflüssig und kann außerdem bei Zimmertemperatur ablaufen. Darüber hinaus entstehen keine schwermetallhaltigen Schlämme und der Wartungs- sowie Entsorgungsaufwand sinkt erheblich. Aus ökologischer Sicht betrachtet realisiert der neue Vorbehandlungsprozess also große Einsparpotenziale im Bereich Abfall, Wasser und Energie. Bei dem neuen Verfahren wird auf dem Grundmetall eine 0,2 Mikrometer dünne Schicht aus Zirkon- und Siliziumverbindungen aufgebracht, die neben dem Korrosionsschutz als Haftgrund für die anschließend aufgebrachte KTL-Beschichtung dient.

Dünnschicht-Vorbehandlung

Der Prozess heißt Oxsilan und wurde von Chemetall entwickelt. Eine vergleichbare Dünnschichtvorbehandlung hatte Audi schon früher bei Vollaluminiumfahrzeugen erfolgreich eingesetzt. Nun erfüllt endlich auch eine Alternative zur Zinkphosphatierung auf Stahl die hohen Ansprüche des Autobauers. Da das Gebäude A22 in die bestehende Werksstruktur integriert werden musste und somit die Breite auf 77 Meter und die Länge auf 189 Meter limitiert war, mussten entsprechende Adaptionen im Bereich der Anlagentechnik erfolgen. So konnte die Vorbehandlung nicht einfach in einer geraden Linie aufgebaut werden – dafür wäre eine Hallenlänge von über 350 Metern notwendig gewesen. Deshalb durchfahren die Karosserien zunächst die Vorbehandlung, wo sie gereinigt werden und die Oxsilan-Beschichtung erhalten, bevor sie gewissermaßen wenden und in die parallel verlaufende KTL-Beschichtungslinie gelangen.

Sämtliche Möglichkeiten zur Effizienzsteigerung und Qualitätsverbesserung werden auch bei der KTL-Beschichtung genutzt. So bewegt die RoDip-Technologie von Dürr die Karosserien in einer Rotationsbewegung durch das KTL-Bad, um so eine vollständige und gleichmäßige Beschichtung der Karosserie auch in schwierigen Bereichen sicherzustellen. Darüber hinaus erfolgt eine an die Positionen der Karosserien im Bad angepasste Leistungssteuerung der Anoden im KTL-Bad, wodurch gegenüber einer konstanten Bestromung deutliche Energieeinsparungen möglich sind.

Trocknen – 90 Grad gedreht und von innen

Bei der Trocknung entschied sich Audi für das neue EcoInCure-Konzept von Dürr. Dabei durchlaufen die Karosserien den Trockner um 90 Grad gedreht, währenddessen  wird eine gerichtete Strömung um die Karosserien herum und vor allem in die Innenbereiche hinein mit Warmluft erzeugt. In der Folge erfolgt die Erwärmung und vor allem Durchwärmung komplexer Schwellerstrukturen wesentlich schneller, sodass die Aufheizzeiten deutlich sinken und gleichzeitig die Temperaturverteilung homogener ist. Zudem steigen die erreichbaren Temperaturen in den innersten Bereichen der Schweller, was vor allem für strukturelle Verklebungen aus dem Karosseriebau wichtig ist. Denn diese härten gleichzeitig mit der KTL-Beschichtung aus. Neben der höheren Energieeffizienz und der in dieser Anwendung vorteilhaften kürzeren Baulänge ist der Quertrockner deshalb sehr gut geeignet für kommende Elektro- und Hybridfahrzeuge mit ihren komplexeren Schweller- und Karosseriestrukturen.

Ursula Noll, Leiterin Fertigungsplanung Lackiererei Korrosionsschutz, fasst zusammen: ,,Die innovative Dünnschichttechnologie in der Vorbehandlung, kombiniert mit der neuen Quertrocknung, trägt ganz besonders zur Effizienz und Nachhaltigkeit des neuen Grundlacks bei. Wir können damit unseren Strom- und Wasserbedarf deutlich verringern und leisten insgesamt einen wichtigen Beitrag zu unserem Umweltprogramm Mission:Zero.“

Energie sparen beim Decklack

Das Grundlackgebäude A22 ist mit dem benachbarten Decklack durch eine neu eingesetzte Brücke verbunden, über die die Karosserien die Hallen wechseln. Auch im Decklack hat das Unternehmen bereits umfangreiche Restrukturierungen und Modernisierungen durchgeführt. Eine Energieeinsparung von rund 50 Kilowattstunden pro Fahrzeug erreicht Audi, seitdem durch einen neuen, trockenen Lacknebelabscheidungsprozess, weil so
die gefilterte Prozessluft zu mehr als 90 Prozent wiederverwendet werden kann.

Besonders hervorzuheben ist, dass es Audi nun gelungen ist, die sehr hohen unternehmensinternen Ansprüche an die Appearance erstmals auch ohne Füllerapplikation zu erreichen. Bei dem neuen Prozess, der erstmals in Neckarsulm zum Einsatz kommt, wird der Füller durch einen Vorzonenlack ersetzt, sodass der bisher notwendige,  anlagentechnisch aufwändige und auch energieintensive separate Füller-Trocknungsprozess entfällt. Pro Fahrzeug lassen sich so bis zu 140 Kilowattstunden Energie einsparen.

Mit den Modernisierungs- und Umbaumaßnahmen sowie dem dahinterstehenden  Konzept in Bezug auf Nachhaltigkeit zeigt sich der Audi-Standort Neckarsulm gut gerüstet für die Herausforderungen der Zukunft. In diesem Kontext stellt der Neubau des Grundlacks und der neuen Halle einen weiteren wichtigen Meilenstein bei der Umstrukturierung und Modernisierung der Lackiererei dar – ein wirklich guter Grund zum Feiern also.

CB