Interpretation birgt Risiken

ISO 12944 Teil 7 – darauf ist bei der Auslegung und Verwendung der Norm zu achten

Bild: SLV

Normen bieten mitunter einigen Interpretationsspielraum. Wenn Auftraggeber und Auftragnehmer diese Unklarheiten nicht erkennen und ausräumen, bietet das viel Potenzial für Probleme.

Die ISO 12944 kennen viele aus der täglichen Praxis. „Beschichtungsstoffe – Korrosionsschutz von Stahlbauten durch Beschichtungssysteme“ ist der Titel dieser Normenreihe, die mittlerweile aus neun Teilen besteht. Heute schauen wir uns Teil 7 etwas detaillierter an. „Ausführung und Überwachung der Beschichtungsarbeiten“ lautet die Überschrift. Holen wir aber zunächst etwas weiter aus und lassen in Gedanken die vergangenen Projekte Revue passieren. Wie oft war die ISO 12944 in Spezifikationen gefordert? Wie oft stand die Aussage im Raum: „Ja klar, ist doch die 12944, das können wir." Vergessen werden darf dabei nicht, dass sobald die ISO 12944 in der Spezifikation benannt ist, automatisch die Ausführung nach Teil 7 eingeschlossen ist. Dieser Aspekt ist von großer Bedeutung.

 

Sieben konzentrierte Seiten Norm, die es in sich haben

Die ISO 12944-7, als DIN-EN-Fassung, ist ganze 19 Seiten lang. Ohne Einleitung, Inhaltsverzeichnis, Begriffsdefinitionen und Anhänge bleiben am Ende allerdings nur sieben Seiten konzentrierte Norm übrig. Kann man daraus nur schließen, dass in diesen wenigen Seiten nichts stehen kann oder wird, was einem Beschichter Probleme bereiten könnte? „Das wäre leichtsinnig und könnte zu erheblichen Problemen führen, wenn es zu Reklamationen kommt“, weiß Martin Czysch, Experte im Bereich Korrosionsschutz. „Interessant und relevant am Teil 7 dieser Norm ist nicht nur, was wortwörtlich drinsteht, sondern auch das, was zwischen den Zeilen zu lesen ist. Mit anderen Worten, wenn es unterschiedliche Auslegungsmöglichkeiten gibt, bietet das nicht nur Definitionsspielraum für den Auftragnehmer, sondern auch für die Kunden oder Abnehmer.
Ein scheinbar harmloser Satz im Teil 7 lautet zum Beispiel: „Mit dem Aufbringen von Beschichtungssystemen auf Stahlbauten beauftragte Unternehmen und ihre Mitarbeiter müssen in der Lage sein, die Arbeiten fachgerecht und betriebssicher auszuführen. Arbeiten, die im Hinblick auf ihre Ausführung besondere Sorgfalt erfordern, dürfen nur von entsprechend qualifiziertem Personal ausgeführt werden.“
Fachgerecht und betriebssicher arbeiten alle Beschichter – zumindest aus deren eigenem Blickwinkel. Interessant wird es aber, wenn jemand einen Nachweis fordert. Wie lässt sich fachgerechtes Arbeiten nachweisen? „So machen wir es schon immer“ oder  „das hat sich bewährt“ ist eine Aussage, die vermutlich weder ein Auftraggeber, geschweige denn ein Gericht akzeptieren würde.
Fachgerechtes und betriebssicheres Arbeiten hat objektiv betrachtet sehr viel mit Ausbildung und Qualifikation zu tun. Gegen eine Ausbildung am Arbeitsplatz ist im Prinzip natürlich nur wenig zu sagen. Zu bedenken gilt es aber, dass derjenige, der einen anderen Mitarbeiter ausbildet, auch über ein gewisses Maß an überdurchschnittliche Befähigungen verfügt und die entsprechenden Ausbildungsmaßnahmen zeitgemäß dokumentiert sein sollten.
Besonders deutlich und nachprüfbar ist der Qualifikations-Gewinn, wenn am Ende einer solchen Maßnahme ein  Nachweis der Fähigkeiten erbracht wird – also durch eine Art Prüfung.

Qualifizierte Verfahrensanweisungen

Eine qualifizierte Verfahrensanweisung macht das Leben sowohl für den Beschichter als auch für den Auftraggeber einfacher und sicherer, weil Missverständnisse ausgeschlossen werden (Bild: SLV)

Um sich der Fragestellung anzunähern, ist es sinnvoll zu betrachten, wie zum Beispiel Strahler, Schleifer, Entfetter oder Beschichter qualifiziert sind und wie in diesem Bereich betriebssicheres Arbeiten nachgewiesen wird. Betriebssicheres Arbeiten hängt sehr stark mit einer gleichbleibenden Qualität zusammen und der Tatsache, dass exakt das an Eigenschaften erreicht wird, was in den Auftragsdefinitionen steht – und also dem entspricht, was der Kunde fordert. Das klingt auf den ersten Blick durchaus trivial, aber gerade bei einer Beschichtung sind die über die Appearance hinausgehenden langfristigen Eigenschaften nicht durch Schnelltests vor der Auslieferung zugänglich.
Gängige Praxis ist, die Produkteigenschaften vor einer Serienfertigung auszutesten und in der laufenden Produktion Kriterien zu finden, um zu prüfen, ob das Ergebnis der Erwartung entspricht. Doch sind diese Kriterien am Ende stichhaltig und stellen sie wirklich sicher, dass die Kundenerwartungen erfüllt werden? Nicht zuletzt neigen sowohl Auftraggeber als auch Auftragnehmer dazu, Vereinbarungen zu ihrem Vorteil auszulegen.
Nur wenn eine detaillierte Verfahrensanweisung geschrieben und das Ergebnis entsprechend dokumentiert wird, verfügt der Auftragnehmer über eine qualifizierte Verfahrensanweisung, auf die er sich auch gegenüber dem Auftraggeber stützen kann. Eine solche qualifizierte Verfahrensanweisungen ist grundsätzlich auch Teil eines Qualitätsmanagementsystems. Teil 7 der ISO 12944 fordert übrigens solche Verfahrensbeschreibungen für jeden Prozess rund um die Beschichtung.
Ein qualitätsbewusster Beschichter könnte sich an dieser Stelle fragen, wie viele Verfahrensanweisungen denn sein Unternehmen aufgestellt hat und benutzt. Das Ergebnis dürfte viele Verantwortliche ernüchtern. Insofern ist es wichtig, solche Normen auch unter solchen Gesichtspunkten zu lesen und zu interpretieren.
Ein weiterer wichtiger Aspekt ist die Bewertung der Oberfläche. Teil 7 der ISO 12944 fordert eine Prüfung der optischen Reinheit, des Oberflächenprofils und der chemischen Reinheit.