Die EU-Kommission plant ein pauschales Verbot der PFAS-Stoffgruppe, also der mitunter auch als Ewigkeitschemikalie titulierten per- und polyfluorierten Alkylsubstanzen. Nicht-Fachleute assoziieren PFAS überwiegend mit Teflon-Pfannen. Doch die Bedeutung dieser Stoffgruppe reicht weit über das Kochen hinaus. Sie dienen als Kältemittel, zum Beispiel in Wärmepumpen, als Schutzbeschichtung für Mikroelektronik - zum Beispiel in Handys, aber auch die moderne Solarzellenfertigung ist auf sie angewiesen. In vielen Bereichen sind Stand heute PFAS nicht ohne erhebliche funktionale und wirtschaftliche Nachteile zu ersetzen. Das zeigt sich sehr deutlich im Bereich der Elektronikindustrie, wie ein ausführlicher Artikel in der nächsten Ausgabe des Magazins für Oberflächentechnik (11/2023) und in Kürze auch auf oberflaeche.de zeigt. Zwar gibt es erhebliche Anstrengungen, PFAS in diesem Bereich so weit wie möglich zu ersetzen, doch es ist unübersehbar, dass das auf absehbare Zeit nur partiell gelingen kann.
Über 10.000 Stoffe
Unter die Stoffgruppe PFAS fallen industriell hergestellte organische Verbindungen, bei denen eine beliebige Anzahl von Wasserstoff- durch Fluoratomen ersetzt wurden. Laut Definition der EU-Kommission zählt sowohl ein Stoff mit mindestens einer CF2- oder CF3-Gruppe zur PFAS-Gruppe, aber auch wenn alle Wasserstoffmoleküle ersetzt wurden. Laut OECD-Liste gehören dazu mindestens 4700 Verbindungen. Dementsprechend stark variieren die Eigenschaften. Fluorpolymere kommen nicht natürlich vor und sind je nach Variante extrem widerstandsfähig und chemisch inert. Eine Eigenschaft, die für die Chemieindustrie sehr wichtig ist. Laut Wikipedia sind über 10.000 feste, flüssige und gasförmige PFAS-Verbindungen mit unterschiedlichsten chemischen Eigenschaften bekannt.
Weil diese Stoffe so enorm robust, widerstandsfähig und vielseitig sind, haben sie etliche technologische Fortschritte überhaupt erst möglich gemacht. Eine solch umfangreiche Stoffgruppe tatsächlich ohne jede Differenzierung zu beschränken würde laut Experten einen kaum zu kalkulierenden Dominoeffekt in der Industrie auslösen. Noch dazu gibt es auch indirekte Folgen.
Wertvolle Nebenprodukte
Wenig bekannt ist zum Beispiel, dass Natronlauge als Nebenprodukt bei der Herstellung von PFAS anfällt. Würde die PFAS-Herstellung in Europa eingestellt oder stark gedrosselt, könnte der Preis von Natronlauge bis zum Achtfachen des heutigen Niveaus steigen. Auch wenn mit aggressiven Chemikalien gearbeitet wird, wie zum Beispiel in Galvanik-Betrieben, werden Wannen mit PFAS-Material ausgekleidet, ansonsten müssten die Wannen sehr viel regelmäßiger ausgetauscht und fachgerecht entsorgt werden. Auch Pumpen würden unter chemisch oder mechanisch anspruchsvollen Bedingungen ohne PFAS ein Großteil ihrer Lebensdauer einbüßen. Das wäre ein klares Eigentor bezüglich Nachhaltigkeit, Ressourcenschonung aber auch Wirtschaftlichkeit.
Problematisch ist insbesondere, dass pauschal eine große Stoffgruppe über einen Kamm geschoren werden soll. Sicherlich gibt es PFAS-Vertreter, die problematischer sind als andere und bei denen eine Regulierung oder Beschränkung zielführend sein könnte. Aber es gibt auch viele, die keine nachweisbaren gesundheitlichen oder ökologischen Folgen haben. So lehnt auch der BDI die angestrebte breite Regulierung der EU-Kommission von mehreren Tausend Substanzen unabhängig von deren tatsächlichem Risiko ab. Die bei der modernden industriellen Herstellung und Verarbeitung entstehenden Emissionen sind minimal und die Industrie arbeitet mit großem Einsatz daran, diese weiter zu reduzieren. Insofern sind Umweltkontaminationen in diesem Kontext als Grund für eine Beschränkung sachlich kein tragendes Argument.
Diskussion auf den ZVO Oberflächentagen
Dass das Thema für unsere Branche große Relevanz hat, zeigte sich auch bei der Beteiligung an der Sprechstunde über regulative Entwicklungen in der europäischen und nationalen Umwelt- und Chemiepolitik auf den ZVO Oberflächentagen in Berlin. Hier entstand eine lebhafte Diskussion zwischen Experten und Publikum. Experten machten deutlich, dass es aufgrund der vielfältigen Verwendung noch kaum abschätzbar ist, was ein umfassendes PFAS-Verbot tatsächlich für Folgen haben würde. In der Diskussion kam auch zur Sprache, dass die Bereitschaft seitens der Politik- und der Regulierungsbehörden zuzuhören und auf die Bedenken und Argumente der Industrie einzugehen, erschreckend gering sei. Insofern war ein Konsens der Diskussion, dass es wichtig ist, die Relevanz der PFAS-Stoffe für den Industriestandort Deutschland und Europa mehr in die Öffentlichkeit zu tragen und auf diesem Weg einen Gegenpool aufzubauen. Es sei wichtig, den Regulierungsbehörden nahezubringen, dass ein so pauschales und unspezifisches Verbot einer so umfangreichen und in ihren Eigenschaften so heterogenen Stoffgruppe für die Industrie in Deutschland und Europa für die Industrie und die technologische Wettbewerbsfähigkeit enorme Nachteile bringen würde. Die Tatsache, dass die EU-Kommission beim Thema Chromsäure unlängst umgelenkt hat und nun statt einer Autorisierung eine Beschränkung plant, könnte ein Indiz sein, dass sachliche Argumente und Notwendigkeiten wenn auch nach langwierigen Auseinandersetzungen am Ende doch noch Berücksichtigung finden könnten. In jedem Fall ist es notwendig, dass die Unternehmen prüfen, ob und in wieweit sie oder Zulieferer PFAS einsetzen oder PFAS für Vorprodukte eingesetzt werden. Hier dürften viele Betriebe überrascht sein, inwieweit PFAS für sie in der Fertigungskette eine Rolle spielt.