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Unsere Gesprächspartnerin

Anke Herzel ist heute Geschäftsführerin der bwh Energy. Sie begann ihre berufliche Karriere 2010 mit einer kaufmännischen Ausbildung bei bwh, bildetete sich konsequent bis zur Energiemanagerin und Betriebswirtin (IHK) weiter und ist heute eine erfahrene Spezialistin in Energiefragen.

bwh Energy ist seit über 18 Jahren Energiedienstleister und hilft, Einsparungs- und Erstattungspotenziale für energieintensiv produzierende Unternehmen zu heben.  Dazu greift das Unternehmen auch auf ein umfangreiches Partnernetzwerk zurück.

Gegen hohe Energiepreise hilft sparen – aber auch die konsequente Nutzung staatlicher Förderungen

Hohe Energiepreise machen der energieintensiven Industrie zu schaffen wie schon lange nicht. Viele Unternehmen sind mit der Situation überlastet. Wir sprachen mit einem Energiedienstleister, der sich mit Fördermöglichkeiten und Energieeinsparungen auskennt.

mo: Welche Möglichkeiten haben Unternehmen, um Energiekosten zu sparen?
Herzel: Deutschland gehört schon lange zu den Ländern, in denen Energie teuer ist. Deshalb wurden seitens des Gesetzgebers Möglichkeiten für Entlastungen geschaffen. Je nach Branche sind beachtliche Erstattungen möglich. Die zugrunde liegenden Vorschriften und Regelungen sind allerdings ausgesprochen vielfältig und komplex.
 

mo: Wie starten Sie einen Energiekosten-Optimierungsprozess?
Herzel: Zunächst führen wir einen Energiecheck durch, vor Ort oder bei Bedarf online, in dem wir die Problemstellungen herausarbeiten. Startpunkt sind die kaufmännischen Betrachtungen, weil sich in diesem Bereich sehr schnell Entlastungen erreichen lassen. Anschließend schauen wir nach prozesstechnischem Potenzial. Konkrete Maßnahmen setzen wir dann mit unserem Partnernetzwerk um.
 

mo: Wo sehen Sie energetisch die größten Einsparpotenziale?
Herzel: Die Kunden kennen oft selber ihre Großverbraucher und was zu tun wäre, um die Spitzenlasten zu reduzieren. Die Kostenunterschiede zwischen Grundlast und Spitzenlast sind erheblich – und auch die Netzentgelte richten sich ja nach den Leistungsspitzen. Das Potential ist groß, die Umsetzung aber schwierig, weil die Maschinen produktionsorientiert gestartet werden. Es ist nicht leicht, alternative Fahrweisen zu finden, ohne die Produktivität zu beeinträchtigen. Inzwischen gibt es jedoch Steuerungssysteme,  die mit einer gewissen Intelligenz für eine Spitzenlastoptimierung sorgen. Hier gibt es längst deutlich bessere Lösungen, als vielen bewusst ist.
 

mo: Wie komplex ist das Thema Energiekostenerstattung?
Herzel: Die Herausforderung besteht nicht nur darin, die vielen unterschiedlichen Positionen und Rahmenbedingungen zu kennen, die Anträge müssen auch an der richtigen Stelle eingereicht werden. Es gibt sowohl Steuern als auch Abgaben, wie zum Beispiel Netzentgelte. Je nachdem sind andere Institutionen und Unternehmen zuständig, vom Netzbetreiber bis zur Bundesnetzagentur. Es ist ein Regulierungs-Dschungel.
 

mo: Was passiert, wenn man Erstattungen erhält, die einem nicht zustehen?
Herzel: Auch wenn man unwissentlich etwas beantragt, was einem nicht zusteht, falsche Angaben macht oder Verbräuche falsch einordnet, drohen empfindliche Strafen. Wenn das Hauptzollamt bei einer Prüfung Unregelmäßigkeiten oder Fehler feststellt, drohen erhebliche strafrechtliche Konsequenzen. Deshalb haben wir einen Anwalt für Steuerrecht in der Bürogemeinschaft, der sich die kritischen Themen genauer anschaut. Besonders unangenehm wird es, wenn über mehrere Jahre unrechtmäßige Erstattungen zurückzuzahlen sind.
 

mo: Wie intensiv werden diese gesetzlichen Entlastungsmöglichkeiten genutzt?
Herzel: Wir beobachten, dass viele Unternehmen hier etwas versuchen, aber meist nur die bekanntesten Töpfe nutzen und nicht das Maximum herausholen – oft weil Fehler bei den Anträgen passieren.
 

mo: Wieviel lässt sich konkret einsparen?
Herzel: In der Oberflächenbranche ist die mögliche Rückvergütung oft höher als in anderen Branchen, beispielsweise wenn es um Wärme- oder galvanische Prozesse geht. Wird der Energieverbrauch für den jeweiligen Prozess per Zähler nachgewiesen, so erfolgt eine Erstattung der kompletten Energiesteuern. Das sind bei Strom zum Beispiel 2,05 Cent pro Kilowattstunde und bei einer 1.000.000 kWh summiert sich das auf 20.500 Euro pro Jahr. Ähnliche Beträge sind über viele andere Positionen möglich.
 

mo: Wieviel kostet den Kunden im Gegenzug Ihre Dienstleistung?
Herzel: Wir arbeiten auf Erfolgsbasis, bekommen also einen prozentualen Anteil an der Einsparung des Kunden. Grundsätzlich warten wir, bis das Geld tatsächlich dem Kunden erstattet wurde. Es gibt aber auch Dienstleistungen, die konventionell abgerechnet werden müssen, weil keine konkreten Einsparungen dahinter stehen.
 

mo: Haben sich im Anfrageverhalten der Unternehmen im Laufe diesen Jahres Änderungen gezeigt?
Herzel: Im Bereich der Strom- und Gaslieferverträge haben sich die Kunden schier verzweifelt gezeigt, weil sie häufig mit Preisangeboten oder Informationen ihrer Versorger konfrontiert waren, die sie buchstäblich aus der Fassung brachten. Unternehmen sollten in solchen Fällen zunächst Rat bei unabhängigen Experten einholen. Denn Versorger verfolgen stets auch eigene Interessen. Wir sehen unsere Aufgabe darin, als eine unabhängige Instanz den Kunden zu unterstützen, die tatsächlich für ihn passendste oder gangbarste Lösung zu finden.
 

mo: Wie sinnvoll ist eine strukturierte Beschaffung, die ja  helfen soll, Preis- und Versorgungsrisiken zu reduzieren?
Herzel: Welche Alternativen zum Energieeinkauf möglich sind, hängt immer auch von der Risikobereitschaft der Kunden ab. Bei der strukturierten Beschaffung werden regelmäßig Energietranchen eingekauft, um ähnlich einem Aktienfont Marktschwankungen zu dämpfen. Das resultiert in den meisten Fällen in günstigeren Preisen gegenüber dem Terminmarkt oder einem festen Versorgertarif. Es birgt aber auch Risiken, erfordert einen guten Einkäufer und ist aufwändig. Natürlich ist es auch immer möglich, Teilmengen am Tagesmarkt zu beschaffen. Dann folgt der Einkauf allerdings direkt den Wellenbewegungen der Preisentwicklung und dazu muss der Kunde bereit sein. Der Terminmarkt bietet weniger Überraschungen – aber das Preisniveau für 2023 ist enorm. Um die passenste Herangehensweise zu finden, erklären wir den Kunden die Funktionsweise der Märkte, um dann gemeinsam eine gut passende Strategie entwickeln zu können. Wichtig ist uns, dass der Kunde am Ende selber entscheidet.
 

mo: Wie sehen Sie die Entwicklung der Energiemärkte in der Zukunft?
Herzel: Interessant ist, dass auf dem Terminmarkt das Jahr 2023 viel teurer ist als die Folgejahre. Normalerweise war bisher immer das direkt folgende Jahr wesentlich günstiger – da besser kalkulierbar – als weiter in der Zukunft liegende Jahre. Momentan gehen die Märkte offensichtlich für die Zukunft von einer Normalisierung aus, sehen aber für 2023 erhebliche Probleme und Unsicherheiten. Diese Sichtweise vertreten derzeit ja auch viele renommierte Experten.
 

mo: Haben Sie bisher erlebt, dass Unternehmen für das nächste Jahr kein Angebot seitens ihrer Versorger erhalten haben?
Herzel: Es kommt derzeit vor, dass Versorger einen Vertriebsstopp haben, weil sie selber nicht einschätzen können, ob und wie viel Energie sie zur Verfügung haben werden. Wir hatten im Gasbereich mehrere Kunden, deren Verträge ausgelaufen sind und wo wir wirklich Schwierigkeiten hatten, akzeptable Angebote zu bekommen.
 

mo: Was passiert, wenn ein Unternehmen keinen Versorgungsvertrag erhält?
Herzel: Im Gegensatz zu Privatkunden fallen Industrieunternehmen nicht in die Grundversorgung, und können so maximal für drei Monate eine Ersatzversorgung erhalten. Gelingt es nicht, in dieser Zeit eine Versorgungszusage zu bekommen, könnte der Energiehahn zugedreht werden. Es wird sehr davon abhängen, welche Mechanismen und Hilfen es geben wird, damit Anfang nächsten Jahres solche Probleme nicht überhandnehmen.
 

mo: Was passiert bei einer Gasmangellage ?
Herzel: Prinzipiell muss bedacht werden,
dass Energie-Lieferverträge stets bilanziell sind und nur das geliefert werden kann, was auch verfügbar ist. Wenn eine tatsächliche Energiemangellage entsteht, wird es für alle schwierig, da hilft dann auch kein Versorgervertrag. Zu beachten ist hier allerdings, dass es Branchen und Verbraucher gibt, die systemrelevantund besonders schützenswert sind. Im Falle einer Gasmangellage werden diese natürlich bevorzugt beliefert
 

mo: Welche Auswirkungen haben die enormen Preise generell auf den Energiehandel?
Herzel:  Ein großes Thema sind die Ausfallversicherungen, die zu besichernden Summen haben bei einem Preisniveau zwischen 20 und 50 Cent pro kWh bei Strom – früher lag der Preis bei vier bis sechs Cent – astronomische Höhen erreicht. In dieser Höhe müssen außerdem Sicherheitsleistungen gegenüber den Übertragungsnetzbetreibern vorgehalten werden. Letzteres ist häufig ein Grund, warum mitunter keine Neukunden mehr angenommen werden. Zumal seitens der Abnehmer die Ausfallrisiken wachsen.
 

mo: Wieviel Psychologie steckt in der derzeitigen Preisentwicklung?
Herzel: Interessant ist, dass der Gaspreis vor der Ankündigung der letzten Wartungsarbeiten von Nordstream 1 immens in die Höhe geschossen ist. Nach den Wartungsarbeiten kam die Meldung, dass kein Gas mehr geliefert werden wird. Obwohl kein Gas mehr durch Nordstream 1 floss, funktionierte alles ganz normal – die Luft entwich aus der Panik-Blase und der Preis sank genauso schnell, wie er gestiegen war. Die Energiepreise sind also stark emotionsgetrieben.
 

mo: Wie bewerten Sie Instrumente wie das Kostendämpfungsprogramm?
Herzel: Das Programm ist sehr undurchsichtig und die Hürden sind hoch. Bedingung zur Einreichung ist ein geprüfter Jahresabschluss, der bis zu 12.000 Euro kostet. Für einen nicht prüfungspflichtigen Mittelständler ist es meist fraglich, ob sich das lohnt. Es sind solche Dinge, die zeigen, wie weit von der Realität eines Großteils der Industrie unsere Politiker agieren.
 

mo: Was sagen Sie zu dem geplanten Strompreisdeckel?
Herzel: Das Maßnahmenpaket der Bundesregierung sieht für die Industrie aktuell einen Preisdeckel von 13 Cent pro Kilowattstunde für ein Grundkontingent von 70 Prozent des Jahresverbrauchs vor. Interessant wird die inhaltliche Ausgestaltung. Bisher wurden wir bei jedem Maßnahmenpaket mit hohen bürokratischen Hürden überrascht. Es bleibt also die inhaltliche Umsetzung abzuwarten.
 

mo: Was fordern Sie von der Politik?
Herzel: Es gibt derzeit so viele verschiedene kleine und gut versteckte Töpfchen, aus denen es etwas zu holen gibt. Selbst für uns als Profis wird es immer schwerer, den Überblick zu behalten. Hier muss schnellstens eine Vereinfachung und Vereinheitlichung umgesetzt werden. In den Nachbarländern gehen gewisse Dinge deutlich schneller. Ich rede tagtäglich mit vielen Geschäftsführern, die verzweifelt sind, weil sie die nächste Stromrechnung nicht bezahlen können. Wenn sich hier nicht schnellstens etwas ändert, werden mit der Zeit etliche Unternehmen schließen müssen.