Auftakt für Ausbildung zur Technischen Sauberkeit
Erste Vorlesung an der BHT-Berlin und erster zertifizierter Qualifizierungslehrgang für die Reinigungsbranche

Für den Bereich Industrielle Teilereinigung und Technische Sauberkeit gibt es weder eine Ausbildung noch ist das Thema in irgendeiner Form in den technischen Studiengängen präsent. Dies muss sich auf breiter Front ändern – ein Anfang ist nun mit einer ersten Vorlesung und einem Qualifizierungslehrgang gemacht.
Reinigungsprozesse werden immer komplexer und haben immer größeren Einfluss auf eine reibungslose und ausschussarme Produktion sowie die spätere Funktionalität und Zuverlässigkeit von Produkten. Deshalb werden die Reinigungs- und Qualitätssicherungprozesse von der Halbleiterfertigung über die Medizindustrie bis zur Elektromobilität und anderen Bereichen stetig und mit viel Energie und Aufwand weiterentwickelt. Doch woher kommt das Personal, dass diese Prozesse entwickelt und betreut? Wie lässt sich sicherstellen, dass ein Kandidat für Tätigkeiten im Kontext der industriellen Teilereinigung über das notwendige Wissen und Fertigkeiten verfügt?
In Deutschland existieren zahllose Ausbildungsberufe, für die Richtlinien eindeutig vorschreiben, was ein Absolvent gelernt haben und beherrschen muss. Im Bereich der Technischen Sauberkeit und industriellen Teilereinigung existiert so etwas bisher nicht – eine Hürde für die Nachwuchsgewinnung. Für Interessenten dieses Fachbereiches bleiben nur Qualifizierungsmaßnahmen und Fortbildungslehrgänge. Einen objektiven Fähigkeitsnachweis liefert die Teilnahme an solchen Veranstaltungen bisher aber nicht, diese wird zwar bestätigt – das ist aber kein hinreichender Indikator, wieviel Wissen tatsächlich aufgenommen und verstanden wurde.
Nicht einmal bei einschlägigen technischen Studiengängen vom Maschinenbauer bis zum Verfahrenstechniker spielt das Thema Sauberkeit und Industrielle Teilereinigung bisher im Studienplan eine Rolle. Dabei könnten zahlreiche Probleme bei kritischen Reinigungsprozessen schon in der Konstruktionsphase oder während der Fertigungsplanung ausgeräumt werden, wenn jeder, der in diesem Bereich arbeitet, während seiner Ausbildung oder während seines Studiums gewisse Grundlagen der Teilereinigung erlernt hätte. Doch das ist bisher leider Wunschdenken. In der betrieblichen Praxis beginnen sich Mitarbeiter häufig eher zufällig mit dem Thema Sauberkeit auseinanderzusetzen – zum Beispiel weil gerade etwas in der Fertigung nicht rund läuft. gibt es weder eine Ausbildung noch ist das Thema in irgendeiner Form in den technischen Studiengängen präsent. Dies muss sich auf breiter Front ändern – ein Anfang ist nun mit einer ersten Vorlesung und einem Qualifizierungslehrgang gemacht.
Fachleute für Sauberkeitsthemen brauchen viel Initiative
Im Gespräch mit erfahrenen Fachleuten der Reinigungsbranche ähneln sich die Berichte. Ausgehend von sauberkeitsbedingten Problemen in der Fertigung nimmt sich ein Mitarbeiter oder im besten Fall auch eine kleine Gruppe der Problematik an und beginnt sich in die Themen und Gesetzmäßigkeiten der technischen Sauberkeit einzuarbeiten. Die so aufgebaute Kompetenz spricht sich innerhalb des Betriebes herum und sobald ähnliche Problemstellungen auftauchen, sammeln die Mitarbeiter weiteres Know-how an. Über die Berufsjahre hinweg erarbeiten sich Fachkräfte ihr Wissen also nicht zuletzt durch Eigeninitiative und Interesse an der Materie. Objektive Nachweise für die erworbenen Fertigkeiten gibt es bisher kaum, hier bleiben nur eine sachkundige Analyse des Lebenslaufes oder ein intensives Fachgespräch, um Fähigkeiten in diesem Bereich einschätzen zu können.
Neue Fachkräfte dringend gebraucht
Wie in der Einleitung schon angedeutet, werden in absehbarer Zukunft immer mehr neue und gut ausgebildete Fachkräfte im Bereich der technischen Sauberkeit benötigt – und die bisher übliche sehr zufällige und langwierige Entwicklung zu einer Fachkraft wird mittelfristig nicht mehr in der Lage sein, den Bedarf zu decken. Nicht zuletzt weil diejenigen, die über viele Jahre die Technische Sauberkeit vorangebracht haben und in den Unternehmen die Fertigungsprozesse stabil gehalten haben, in den nächsten Jahren vermehrt in Rente gehen und aus dem Erwerbsleben ausscheiden werden. Damit entsteht in den Betrieben zunehmend dringender Bedarf, das Know-how zu sichern sowie neue Fachkräfte zu finden und auszubilden, die die Aufgaben übernehmen können. Deshalb ist es wichtig und höchste Zeit, die Erarbeitung und Prüfung von Fachwissen im Bereich der industriellen Teilereinigung zu institutionalisieren.

Verbände als Qualifizierungshilfe
„Aufgrund der Komplexität des Themas und der stetig steigenden Anforderungen aus den verschiedenen Branchen setzen wir uns seit vielen Jahren dafür ein, die Teilereinigung auch in der Hochschullandschaft in Deutschland zu verankern“, erklärt Dr. Michael Flämmich, Vorstandsvorsitzender des FiT. Ein Schritt in diese Richtung ist nun in Kooperation mit der Berliner Hochschule für Technik (BHT) gelungen. Mit acht Fakultäten und über 13.000 Studierenden ist die BHT eine der größten Hochschulen für Angewandte Wissenschaften in Deutschland.
Das Studienangebot umfasst über 70 akkreditierte Bachelor- und Masterstudiengänge der Ingenieur-, Natur- und Wirtschaftswissenschaften. „In unseren Gesprächen mit dem FiT haben wir die branchenübergreifende Bedeutung der industriellen Teilereinigung erkannt. Es ist erstaunlich, dass es bisher keine Vorlesungsreihe zu diesem Thema in Bachelor- oder Masterstudiengängen an deutschen Hochschulen gibt. Daher haben wir uns entschieden, gemeinsam mit dem FiT den Anfang zu machen“, berichtet Prof. Dr. Jochen Pfeifer, der an der BHT Organische Chemie lehrt.
Die bundesweit neue Vorlesungsreihe wurde im Wintersemester 2022/23 erstmals als Wahlpflichtfach im fünften Semester des Bachelorstudiengangs Pharma- und Chemietechnik implementiert. „Wir planen, diese Vorlesungen auch in weitere Studiengänge wie Maschinenbau, Green Engineering (vormals Verfahrenstechnik) und Biotechnologie zu integrieren. In diesen Bereichen spielt die Sauberkeit von Bauteilen ebenfalls eine wichtige Rolle“, beschreibt Jochen Pfeifer. Für die Vorlesungsreihe hat der FiT insgesamt 15 Vorlesungen erarbeitet. Darin werden zunächst grundsätzliche Fragen zur industriellen Teilereinigung geklärt: das breite Spektrum der zu reinigenden Werkstücke und deren Verunreinigungen werden beleuchtet und die Prozesskette Teilereinigung wird unter die Lupe genommen. Vertieft werden die Inhalte zu Reinigungsverfahren, Anlagentechnik, Chemie und den Bereichen Messen und Prüfen (Qualitätskontrolle). Weitere Vorlesungen beinhalten, wie die im Reinigungsprozess erreichte Sauberkeit erhalten und zum nächsten Produktionsschritt oder Kunden transportiert werden kann. Auch die Einflüsse der Bauteilgestaltung auf die Reinigbarkeit von Werkstücken und auf die Kosten der Reinigung sind Teil der Vorlesungen.
„Da die Vorlesungsreihe insgesamt 15 Einheiten à 90 Minuten umfasst, erhalten die Studierenden einen sehr guten Überblick über die Herausforderungen, Anwendungen und Lösungen in der industriellen Teilereinigung“, so Michael Flämmich. „Dazu trägt auch bei, dass die Vorlesungen von erfahrenen, praxisorientierten Dozenten von FiT-Mitgliedern aus der Industrie gehalten werden“, ergänzt Jochen Pfeifer. Die Dozenten der FiT-Vorlesungen „Industrielle Teilereinigung“ an der BHT sind Kerstin Zübert (Bantleon), Gerhard Koblenzer (LPW), Rainer Straub (Ecoclean) und Dr. Michael Flämmich (VACOM). Nach erfolgreich abgelegter Prüfung im neuen Wahlpflichtfach erhalten die Studierenden zusätzlich zum Zeugnis ein Zertifikat. „Damit können die Studierenden ihre Zusatzqualifikation später nachweisen“, blickt Jochen Pfeifer auf die künftigen Chancen der Studierenden am Arbeitsmarkt.

Erstmals zertifizierter Abschluss in der Bauteilreinigung
Neben der Hochschulbildung muss eine große Aufmerksamkeit auch der beruflichen Fortbildung gewidmet werden. „Trotz der immensen Aufwände, die für Reinigungsprozesse in industriellen Fertigungsprozessen geleistet werden müssen, gibt es bis dato keine Berufsausbildung in diesem Bereich. Damit bietet die Qualifizierung von Quereinsteigern derzeit die einzige Möglichkeit, fachliche Sicherheit in diese wertsteigernden Prozesse zu bringen.“ ist sich Frank-Holm Rögner, Leiter der Geschäftsstelle des Fraunhofer-Geschäftsbereichs Reinigung, sicher.
„Seit 2009 führen wir schon mit unseren Mitgliedsinstituten ein jährliches Grundlagenseminar für die industrielle Teilereinigung durch. In diesen drei bis vier Tagen kann man aber nur ein erstes Grundverständnis für Reinigungsprozesse vermitteln. Eine grundlegende Qualifizierung ist damit natürlich nicht möglich“ stimmt Daniel Weile zu, der sich im Fraunhofer FEP mit Reinigungsprozessen und den zugehörigen Bildungsprojekten beschäftigt.
Nach langjährigen Bemühungen um eine umfangreichere Möglichkeit der beruflichen Qualifizierung konnte zusammen mit dem langjährigen Bildungspartner des Fraunhofer FEP, der Sächsischen Bildungsgesellschaft für Umweltund Chemieberufe mbH (SBG) in Dresden, ein Förderprojekt im Rahmen des InnoVET Wettbewerbs erfolgreich beantragt werden. Im Rahmen dieses vom Bundesministerium für Bildung und Forschung und dem Bundesinstitut für Berufsbildung als Projektträger geförderten CLOU-Projekts entstand ein umfangreiches Konzept für ein Fortbildungsprogramm zur berufsbegleitenden Qualifizierung zum „Geprüften Berufsspezialisten (m/w/d) für industrielle Teilereinigung“ auf dem Niveau 5 des Deutschen Qualifizierungsrahmens (DQR 5). Damit wird es nun erstmal möglich, einen zertifizierten Abschluss mit Prüfung an der IHK Dresden auf dem Gebiet der Bauteilreinigung zu erlangen.

Erste Teilnehmergruppe durchläuft Qualifizierung
Seit September 2022 durchläuft eine erste Teilnehmergruppe diese mit etwa 420 Lernstunden konzipierte Qualifizierung im Rahmen der Evaluierungsphase des Projekts. In einem hybriden Blended-Learning-Konzept werden die Lerninhalte sowohl in konzentrierten Präsenz-Blöcken als auch in synchronen Online-Seminaren und Selbstlernphasen vermittelt und durch Praktika in Reinigungs- und Analytik-Laboren verschiedener Fraunhofer-Institute ergänzt. Eine besondere Herausforderung in diesem Konzept ist der Umstand, dass die Teilnehmer mit sehr unterschiedlichen Voraussetzungen in die Fortbildung starten, da es keine Berufsausbildung als Basis im Bereich der Reinigungstechnik gibt. Sowohl eine Nivellierungsphase zu Beginn der Fortbildung als auch regelmäßige Kontrollinstrumente für den Lernfortschritt sind deshalb Teil des Konzepts, um allen Teilnehmern bei der Erreichung der Lernziele gerecht zu werden.
Inhaltlich ist die Fortbildung in zwei Teile gegliedert. Im Basismodul werden die theoretischen Grundlagen und Fakten industrieller Reinigungsprozesse vermittelt. Das Vertiefungsmodul hingegen zielt auf die praktische Anwendung der erworbenen Kenntnisse und betrachtet deshalb auch alle umgebenden Prozesse und Schnittstellen, mit denen Reinigungsprozesse in Produktionsketten eingegliedert sind. Damit werden die Fertigkeiten zur Planung, Optimierung und den Betrieb von Reinigungsprozessen trainiert, die auch für die Vermeidung von Fehlern und die Ermittlung von Fehlerursachen in Reinigungsprozessen notwendig sind. Ab September 2023 steht dann dieses Fortbildungsprogramm allen interessierten Teilnehmern offen und wird die fachliche Basis für dieses wichtige Fertigungsverfahren deutlich verbessern.

Zwei neue Ansatzpunkte für qualifizierten Nachwuchs
Damit bestehen nun immerhin zwei vielversprechende Ansätze, das Thema Qualifizierung, Zertifizierung und Ausbildung für die künftigen Prozesse im Bereich der industriellen Teilereinigung und technischen Sauberkeit breiter aufzustellen. Angesichts des Strukturwandels und in vielerlei Hinsicht immer anspruchsvolleren Prozessen sind hier jedoch von den Hochschulen bis zur Industrie- und Handelskammer die Verantwortlichen gefragt, dem Thema mehr Priorität einzuräumen. Denn Hochtechnologie bedeutet inzwischen immer häufiger auch höchste Sauberkeitsansprüche und der qualifizierte Nachwuchs für diese Prozesse muss für die Zukunft gesichert werden.
Autoren: Dr. Michael Flämmich, Frank-Holm Rögner Rainer Straub, CB
Institutionen und Anlaufstellen: Aus- und Weiterbildung sowie Qualifizierung

