Jentner steht kurz vor Inbetriebnahme einer hoch digitalisierten Handgalvanik
Mehr Produktivität, weniger Ausschuss und nachverfolgbare Prozesse
Ein Lohnbeschichter geht eigene, digitalisierte Wege und zeigt auch bei seinem in Kürze eröffnenden neuen Standort ein schlüssiges Konzept für die Zukunft anspruchsvoller handgalvanischer Beschichtungen in Zeiten der Digitalisierung.
Trotz den Auswirkungen der Coronakrise und der erreichten Effizienzsteigerung durch die Digitalisierung kam es bei der JentnerGroup zunehmend zu Kapazitätsengpässen, nicht zuletzt, weil es am Unternehmenssitz keinerlei Platzressourcen mehr gab und auch die Bäder durch die parallele Beschichtung von Trommel- und Gestellware stark ausgelastet waren. Von daher beschloss die Unternehmensführung trotz der angesichts der Corona-Krise wenig zuversichtlich stimmenden gesamtwirtschaftlichen Rahmenbedingungen einen neuen Standort aufzubauen. Pläne für eine Erweiterung gab es schon länger und ein geeignetes Grundstück stand auch bereits zur Verfügung. Am neuen Standort wird sich Jentner voll auf die Beschichtung von hochwertiger Gestellware konzentrieren, während der bisherige Standort auf die Bearbeitung von Trommelware spezialisiert wird.
Von der Medizintechnik bis hin zur Luft- und Raumfahrt
Die JentnerGroup hat einen breiten Kreis an Auftraggebern, auch aus dem Hochtechnologiebereich, wie etwa der Medizintechnik, Luft-und Raumfahrt oder Verteidigung mit entsprechenden Anforderungen an Qualität und Dokumentation. Um den stetig steigenden Anforderungen auch in Zukunft gerecht werden zu können, hat das Pforzheimer Unternehmen das sogenannte Digital Lifecycle Plating entwickelt, dass eine umfassende Digitalisierung in der handgalvanischen Beschichtung ermöglicht.
Die Aufgabenstellung, mehr Prozesseffizienz und weniger Ausschuss zu erreichen, wurde mehr als erfüllt. Am bisherigen Produktionsstandort konnte bereits durch die Einführung des Digital Lifecycle Plating der Durchsatz um rund 20 Prozent gesteigert werden, unter anderem, weil Engstellen in der Prozessfolge identifiziert und durch eine angepasste Auftragsverarbeitung entschärft werden können. Sämtliche Anlagenparameter wie Storm, Spannung, Umwälzung, ph- und Leitwerte sowie Badtemperaturen werden dabei erfasst. Zusätzlich erfolgt eine Protokollierung von Umgebungsbedingungen wie zum Beispiel Temperatur, Luftfeuchtigkeit oder CO2 Gehalt.
Außerdem ermöglicht das Digital Lifecycle Plating Konzept den Aufbau einer digitalen Produktionsakte, über die der komplette Lebenszyklus der Werkstücke und alle individuellen Parameter dokumentiert und bei Bedarf analysiert werden können. Dazu gehören die originären Produkteigenschaften im Anlieferungszustand, über die einzelnen Veredelungsschritte bis hin zu den Auslieferungs- und Übergabebedingungen. Nicht zuletzt wird so auch eine Auswertung zum Thema CO2-Fußabdruck möglich – ein Thema, das durch EU-Verordnungen künftig relevant werden wird.
Möglich wird das über ein UWB-Netzwerk (Ultra-Wideband), welches es erlaubt, die Position der einzelnen Gestelle auf der Anlage so genau zu erfassen, dass eine Zuordnung zu den Bädern und damit eine Erfassung der Verweilzeiten möglich ist. Darüber hinaus ist eine Schritt für Schritt Führung der Mitarbeiter durch den Beschichtungsprozess möglich, sodass sichergestellt werden kann, dass auch angelernte Kräfte durch umfassende digitale Assistenzsysteme ein optimales Beschichtungsergebnis erreichen können.
Vorbeugende Wartung und Elektrolytüberwachung
Dieses Digitalisierungskonzept wird auch beim neuen Standort umgesetzt, der zum Ende des Frühjahrs in Betrieb gehen soll. Das schafft die Voraussetzung für die Erstellung einer digitalen Produktionsakte über den gesamten Lebenszyklus der Werkstücke hinweg – auch über Unternehmensgrenzen hinweg und eröffnet vielfältige Vorteile für allen Beteiligten. So kann etwa bei vor der Beschichtung festgestellten Qualitätsdefiziten der Rohartikel über die vom Auftraggeber bereitgestellten Parameter ein Rückschluss auf mögliche Gründe gezogen und für Abhilfe gesorgt werden. Zum Beispiel indem vor der Beschichtung angepasste Vorbehandlungsverfahren herangezogen werden, die Schwankungen in den Vorprozessen ausgleichen. Zudem können so alle Bearbeitungsvorgänge bis hin zum einzelnen Werkstück und Prozess jederzeit zurückverfolgt werden. Dadurch lassen sich ein Predictive Maintenance sowie Health Monitoring der Elektrolyte – samt zielgenaue Nachdosierungen im laufenden Prozess genauso realisieren wie eine granulare Qualitätssicherung für Anwendungen im Hochtechnologiesektor.
„Damit legen wir die Grundlage für eine Mustererkennung, mit der wir in der Zukunft die Ursachen für Beschichtungsfehler und Qualitätsprobleme schneller und in ihren Kausalitäten präziser erfassen können“, zeigt sich Marcel Scheidig, Head of Technology bei Jentner begeistert. „Aber so viele Vorteile eine solche Unternehmensübergreifende digitale Produktionsakte auch bringen kann – es gibt noch viel Zurückhaltung, solche Daten zur Verfügung zu stellen.“
Neuer Standort kurz vor Inbetriebnahme
„Die Galvanik-Anlage in unserem neuen Standort steht schon, aber es gibt noch einige Kleinigkeiten zu tun. Aber schon jetzt wird deutlich, dass wir durch die deutlich größeren und vielfältigeren Elektrolytvarianten ein wesentlich größeres Spektrum an Teilen Beschichten können“, erläutert Scheidig. „Von Prozessen her haben wir natürlich schon einen gewissen Grundstock zusammengestellt, aber wir laden unsere Auftraggeber und Interessenten ein, sich auch schon jetzt, vor der Inbetriebnahme in unsere Prozessplanung einzubringen, denn wir können bei entsprechenden Auftragsvolumina hier durchaus noch ergänzen und anpassen – das ist etwas, was am alten Standort aus Platzgründen überhaupt nicht mehr möglich war.“
Perspektivisch ist eine automatische Qualitätsanalyse-Zelle geplant, in der ein Cobot beschichtete Produkte unter einer Kamera positioniert und intelligente Algorithmen sowohl Beschichtungsfehler erkennen, als auch eine Aussage treffen können, ob diese eventuell auf Mängel am zugelieferten Produkt zurückgehen könnten, wie zum Beispiel Grate oder Verfärbungen. Eine ähnliche, aber sehr spezialisierte Anwendung für chirurgisches Besteck hat sich bereits am bisherigen Standort bewährt.
„Diesbezüglich stellt sich uns momentan die Herausforderung, ein System zu entwickeln, das flexibel unterschiedliche Bauteile analysieren kann. Unser Ziel ist, 2024 eine solche automatisierte Qualitätsanalyse anbieten zu können.“ Auch eine erweiterte Fertigungsoptmimierung auf Basis der generierten Daten ist in der Entwicklung, um den Auftraggebern jederzeit einen präziseren Liefertermin zusagen und falls gewünscht sie kontinuierlich über den Barbeitungszustand informieren können.
Alles in allem zeigt sich damit deutlich, dass der neue Standort bei seiner Inbetriebnahme gut aufgestellt sein wird, um künftigen Herausforderungen zu begegnen.
JentnerGroup
www.jentner.de