KI-Tool von coatingAI optimiert Pulverbeschichtungs-Parameter

Optimale Beschichtungsergebnisse – mit minimalem Zeitaufwand und Anforderungen an den Bediener

Marlon Boldrini von coatingAI und Patrik Studerus von MS Oberflächentechnik beim Testen der KI-Software (Bilder u. Grafiken: MS Carlisle und coatingAI AG)

Ein junges Startup ist vor zwei Jahren angetreten, ein umfassendes KI-basiertes Optimierungstool für Pulverbeschichtungsanlagen zu entwickeln. Seit Anfang 2023 ist nun als erste Stufe eine Optimierung
von Fördergeschwindigkeit und Pistolenhub verfügbar. Aber auch die Optimierungslösung sämtlicher Anlagenparameter hat bei Flachteilen bereits ihre Fähigkeiten unter Beweis gestellt.

Trotz Digitalisierung überall erfolgt die Optimierung der Anlagenparameter bei der Pulverbeschichtung noch immer traditionell – es sind aufwändige Versuche sowie erfahrene Mitarbeiter notwendig um gute Ergebnisse zu erzielen. Deshalb trat das Startup coatingAI 2021 an, um eine Softwarelösung zu entwickeln, die mittels intelligenter Algorithmen in der Lage ist, eine umfassende Parameteroptimierung bei der Pulverbeschichtung zu leisten. Rund 15 Parameter haben die KI-Experten ausgemacht, die miteinander wechselwirken und erheblichen Einfluss auf die Beschichtungsqualität und Homogenität der Schichtdicken haben. Zu diesen Parametern gehören neben den naheliegenden Größen wie Pulvermenge, Druckluft und Elektrostatik sowie Werkstückabstand zur Pistole auch häufig vernachlässigte Größen wie die Temperatur, die Luftfeuchtigkeit und natürlich auch die Pulvereigenschaften.

„Das menschliche Gehirn ist bei einer solch vieldimensionalen und komplexen Verknüpfung von Einflussgrößen nicht mehr in der Lage, die Kausalitäten und Wechselwirkungen im Zusammenhang zu analysieren“, erläutert Marlon Bondrini, einer der Geschäftsführer und Gründer von coatingAI. „Es ist für einen erfahrenen Beschichter zwar aufgrund seiner Intuition und Erfahrung in vielen Fällen möglich, ein akzeptables Ergebnis zu erreichen, mit einem tatsächlichen Optimum hat das allerdings in den meisten Fällen wenig zu tun,“ schildert Bondrini seine Erfahrungswerte. „Deshalb ist die Optimierung einer Pulverbeschichtung ein ideales Anwendungsfeld für künstliche Intelligenz. Diese ist in der Lage, die nichtlinearen Zusammenhänge zwischen allen wichtigen Parametern eindeutig zu identifizieren und dann daraus die Parameter der Anlagenbeschichtung abzuleiten.“

Der Pistolenstrahl wird mit einer speziellen Schablone vermessen.

Einfach zu bedienen – schnelles Ergebnis

Interessant macht diesen Ansatz nicht nur der zunehmende Fachkräftemangel und die Tatsache, dass etliche erfahrene Anlagenführer in den nächsten Jahren regulär aus dem Erwerbsleben in die Rente ausscheiden. Grundsätzlich stellt ein Programm, das mithilfe intelligenter Algorithmen in der Lage ist, beim Einfahren neuer Bauteile in kürzester Zeit optimale Parameter zu liefern oder beim Troubleshooting eine physikalisch fundierte Vorschläge zu machen, zweifellos ein sehr hilfreiches und zeit- sowie kostensparendes Werkzeug dar. Zwar gibt es schon seit einigen Jahren Ansätze, über sogenannte Closed-Loop-Regelungen einen Regelkreis zwischen der Schichtdicke und den Anlagenparametern aufzubauen, doch hier wird bisher ausschließlich die Pulvermenge reguliert, inhomogene Schichtdickenverteilung oder andere Probleme können nicht gelöst werden.

Bei der intensiven Auseinandersetzung mit den für eine solche umfassende Optimierung notwendigen Voraussetzungen wurde den Entwicklern sowohl in der analytischen Betrachtung, als auch in vielen durchgeführten Versuchen klar, dass die Grundlage für eine Parameteroptimierung zunächst eine Optimierung von Fördergeschwindigkeit und Pistolenbewegung sein muss.

 

Fördergeschwindigkeit und Pistolenhub optimieren

Dieses Verhältnis hat entscheidenden Einfluss auf die Homogenität der Schichtdicke, weil sie den Grad der Überlappung der von den einzelnen Pistolen auf das Bauteil applizierten Pulverbahnen festlegt. Und weil der Sprühstrahl einer Pistole und vor allem der Pulverstrom innerhalb dieses Sprühstrahls nicht gleichförmig ist, muss diese Bahnüberlappung auf Basis der tatsächlichen Pulververteilung im Sprühstrahl ermittelt werden. Noch dazu verändern sich diese Verhältnisse je nach Abstand der Pistole zum Werkstück und dem gefahrenen Luftdruck erheblich. Auch der verwendete Pulverlack hat großen Einfluss. Jede Änderung dieser Rahmenbedingungen erfordert also eigentlich eine erneute Optimierung dieser Parameter. Das ist jedoch bemerkenswerterweise in der Praxis offensichtlich nicht üblich, wie coatingAI in Gesprächen mit Beschichtern festgestellt hat. Fördergeschwindigkeit und Pistolenhub werden oft nur einmal mit dem Anlagenbauer bei der Inbetriebnahme einer Anlage eingestellt. Eine fortlaufende Anpassung und Optimierung erfolgt häufig nicht. Hinzu kommt, dass die Applikationshersteller für diese Einstellarbeiten Methodiken vorsehen, die die physikalischen Realitäten des Sprühstrahles vereinfachen. Damit kann man hier nicht direkt von einer Optimierung sprechen.

Bleiben also Pistolenhub und Vorschubverhältnis bei vielen Anlagen konstant, dann kann bei Veränderungen bezüglich Abstand, Druckluft oder Pulver eine homogene Beschichtung nur dann erreicht werden, wenn es gelingt, die Sprühstrahl-Geometrie unter den neuen Bedingungen wieder für das eingestellte Verhältnis von Pistolenhub und Vorschub anzupassen. Es ist naheliegend, dass es viel Zeit und Nerven sparen würde, zunächst das Vorschub-Pistolenhub Verhältnis zu optimieren, um dann das Feintuning der übrigen Parameter anzugehen. Auf Basis dieser Erkenntnis entwickelte coatingAI zunächst ein Tool zur Einsatzreife, mit dem genau diese Grundlagenparameter präzise und schnell optimiert werden können. Das Tool steht seit Anfang 2023 für Anwender zur Verfügung.

 

Wenige Eingangsparameter und eine Kalibierung

Für die Berechnung sind einige Basisangaben notwendig, dazu gehört als erstes die Definition der Anlage, zum Beispiel ob es sich um eine Horizontal- oder Vertikalanlage handelt und wie viele Pistolen verfügbar sind. Sehr wichtig ist außerdem der Abstand der Pistolen untereinander und auch die maximale Auslenkung sowie Geschwindigkeit der Vertikalbewegung. Bevor nun eine erste Optimierungsrechnung möglich ist, muss der Pistolensprühstrahl vermessen werden, denn die Algorithmen benötigen die reale Pulververteilung auf dem Werkstück. Hierfür wird ein Probeblech aufgehängt, eine einzelne Pistole gestartet, die einen einzelnen Auf- und Ab-Zyklus ausführt, während sich das Blech statisch vor der Pistole befindet. Bei einer zweiten Probebeschichtung bleibt die Pistole statisch in ihrer Position und das Blech fährt horizontal vorbei. Zur Auswertung der Messungen muss – eine berührungslose Schichtdickenmessung vorausgesetzt – das Blech nicht einmal eingebrannt werden. Mittels einer speziellen Schablone wird an sieben definierten Punkten die applizierte Schichtdicke – zum Beispiel mit einem photothermischen Verfahren wie dem Coatmaster Flex oder Coatmaster 3D – gemessen und an die Software übertragen. Diese Kalibrierung dauert so lediglich etwa fünf Minuten und ist ausreichend, wenn sich Abstände und Bauteilgrößen nur minimal ändern.

 

Soll auch bei größeren Änderungen von Abständen und Luftmengen eine optimale Präzision erreicht werden, kann der Kalibiervorgang insgesamt viermal bei unterschiedlichen Abständen und Luftmengen durchgeführt werden, die hierbei zu verwenden Parameter werden von der Software vorgegeben und orientieren sich an dem Prozessparameterrahmen, in dem beschichtet werden soll. Vor allem wenn mehrere Pulversorten verwendet werden, ist es sinnvoll ist, für bestimmte Pulvergruppen eigene Kalibrierungen durchzuführen, um deren spezifische Eigenschaften genügend exakt zu berücksichtigen. Denn sowohl das Material als auch die Korngrößenverteilung haben erheblichen Einfluss auf die Applikationseigenschaften.

Nach der Eingabe aller notwendigen Daten und wenigen Sekunden Rechenzeit erhält der Anwender eine Falschfarben-Grafik, die die Homogenität der zu erwartenden Beschichtungen visuell anschaulich darstellt. Insbesondere wenn die Anzahl der Pistolen zu niedrig oder Vorschub zu hoch ist, werden deutliche Streifenmuster sichtbar. Ein Optimum zeigt sich dagegen, wenn die Fläche eine einheitliche Farbe mit geringen Abweichungen, oft nur im Kantenbereich, aufweist.

„Wir haben in unseren Versuchen regelmäßig Homogenitäten bei der Schichtdicke von 99 Prozent erreicht – ohne weitere Parameter wie Luft oder Elektrostatik in die Optimierung mit einzubeziehen“, berichtet Boldrini. „Erst wenn diese Basisoptimierung erfolgt ist, macht es überhaupt Sinn, sich die anderen Parameter vorzunehmen. An direkt beeinflussbaren Parametern bleiben dann im Wesentlichen noch die Luftmenge und Elektrostatik übrig – das sind zwei Stellgrößen, mit denen ein erfahrener Beschichter sehr gut arbeiten kann.“
Das Software Tool kann außerdem auch eine Gewichtung in Hinblick auf Optimierung des Auftragswirkungsgrades oder der Homogenität legen. Wenn also auf Verlust gefahren wird, legen die Algorithmen Priorität auf eine Verbesserung des Auftragswirkungsgrades, wohingegen bei einer Beschichtung mit Rückgewinnung die Homogenität in den Vordergrund gestellt wird.

Das Bedienfenster des Copiloten von coatingAI bietet zur Visualisierung des Ergebnisses eine simulierte Applikation an (Bild), wobei die Farben für unterschiedliche Schichtdicken stehen. Im rechten Fenster werden zentrale Anlagen- und Beschichtungsparameter angezeigt.

Mann gegen Maschine

Wie gut ist nun das seit kurzem zur Verfügung stehende Optimierungstool? Hierfür hat coatingAI bereits in den Labors mehrerer Applikationshersteller Versuche durchgeführt. „In zwei Fällen konnten wir die manuell optimierten Anlageneinstellungen bezüglich der Homogenität um rund 20 Prozent verbessern, in einem Fall konnte unsere Software das gleiche Ergebnis erzielen, wie ein ausgesprochen erfahrener Servicetechniker“, erzählt  Boldrini. „Dieser erzählte uns aber auch, dass er sehr viel Erfahrung mit dem verwendeten Pulver hatte. Mit einem unbekannten Pulver mit deutlich anderen Eigenschaften hätte die KI vermutlich auch in diesem Fall besser abgeschnitten, da sie ja die realen Sprühstrahleigenschaften über die Kalibrierung berücksichtigt.“

In einem weiteren Versuch wurden die Parameter eines Servicetechniker vorab in die KI eingegeben, die daraufhin eine leichte Streifenbildung voraussagte. Nach der Beschichtung mit eben diesen Parametern zeigten systematische Schichtdickenmessungen dann tatsächlich eine Streifenbildung. „Nach einem Optimierungsdurchlauf konnten wir die Streifenbildung im Rahmen der zur Verfügung stehenden Anlagenkonstellation um rund 31 Prozent reduzieren“, so Boldrini.

 

Umfassende
Optimierung für Flachteile

Bezüglich des ursprünglichen Zieles, eine umfassende Parameteroptimierung für die Pulverbeschichtung zu entwickeln, kann coatingAI nur rund zwei Jahre nach ihrer Gründung ebenfalls erhebliche Fortschritte vermelden. So ist das große Optimierungstool bereits in mehreren Versuchslabors von Applikationsherstellern an falchen Bauteilen getestet und angelernt worden. „Wir waren erst vor wenigen Wochen in einem Technikum, in dem wir unsere Software erstmals mit der Dichtstromtechnik testen konnten – und wir waren sehr positiv überrascht. Die Aufnahme der Trainingsdaten dauerte nur 3 Stunden,“ zeigt sich Boldrini erfreut. „Indirekt ist das ein Indikator für die sehr große Prozessstabilität der Dichtstromfördertechnik. Bei Injektoranlagen benötigen wir für den Anlernprozess in der Regel mindestens die doppelte Zeit. Auch sind die Schwankungen im laufenden Beschichtungsbetrieb bei einer Injektoranlage naturgemäß größer.“
Bei den mit der Dichtstrom-Technologie durchgeführten Versuchen wurde zunächst einmal eine zu erreichende Schichtdicke von 70 µm festgesetzt, die Berechnung erfolgte durch die Software innerhalb von wenigen Sekunden.

Die Messung nach der Beschichtung ergab Schichtdicken zwischen 68 und 75 µm über das gesamte Blech mit minimalem Kantenaufbau. Ein sehr gutes Ergebnis. Dann wurden 50 µm Schichtdicke als Ziel anvisiert, eine Schichtdicke, die auch für erfahrene Beschichter eine Herausforderung darstellt. Nach der Ermittlung der Parameter und Beschichtung ergab die Messung mit dem Coatmaster 3D eine ausgesprochen homogene Schichtdickenverteilung. Hier zeigte sich der Technikumsleiter durchaus beeindruckt, da er sich laut eigener Aussage zwar ein solches Beschichtungsergebnis auch ohne KI-Hilfe hinbekommen zutrauen würde, dafür aber durchaus einige Tage im Technikum zur Optimierung brauchen würde.

 

KI-Entwicklung auf Kurs

Damit ist coatingAI auf einem guten Weg, ihr Ziel einer umfassenden Parameteroptimierung durch KI für die Pulverbeschichtung umzusetzen. Schon jetzt ist das junge Startup-Unternehmen in der Lage, mit seinen Softwarelösungen der Beschichterbranche Werkzeuge an die Hand zu geben, die dass das Potenzial haben, die Art wie Beschichtungsparameter erarbeitet werden, grundlegend zu ändern. Nicht zuletzt massive Zeiteinsparungen und gleichzeitig erheblich verbesserte Oberflächengüten durch KI-Optimierung könnten Anlagenbetreibern künftig viel Kopfzerbrechen ersparen.

CB

coatingAI AG
www.coatingai.com