Von der Projektierung bis zur Wartung digital

Lackieren im Sinne von Industrie 4.0

Roboter Simulation
Inbetriebnahme und Optimierung der Programme erfolgen in einem frühen Stadium des Projektes außerhalb der Lackierkabine (Bild: Asis)

Eine vollautomatisierte Lackieranlage in Neustadt an der Donau beschichtet Kunststoffbauteile für Automotive. Während der Projektierung wurden Simulationstechniken eingesetzt, um künftige Bottlenecks auszuschalten. Für Predictive Maintenance und spätere Prozessverbesserungen wurde eine Vielzahl smarter Sensoren verbaut.

Digital, hoch vernetzt und intelligent, aber ohne Overengineering: Mit der neuen Lackieranlage L6 errichtet der Automobil-Zulieferer SMP in Neustadt an der Donau eine Referenzanlage nach Industrie 4.0 Standard. Das Unternehmen SMP gehört zur Samvardhana Motherson Gruppe, die aktuell 135.000 Mitarbeiter an 270 Standorten beschäftigt. SMP fertigt in Neustadt Kunststoffteile sowie hochintegrierte Module für die Automobilindustrie. Die automatische Lackieranlage wird von der Asis GmbH aus Landshut als Generalunternehmer schlüsselfertig geplant und montiert. „Seit mehr als 22 Jahren verbindet uns mit SMP eine partnerschaftliche Geschäftsbeziehung. Der Auftrag zur neuen L6 ist ein Meilenstein der Zusammenarbeit“, sagt Asis-Geschäftsführer Hans-Jürgen Multhammer.

Mit im Boot ist auch die Wenker GmbH & Co. KG aus Ahaus: Sie wird Teile der Anlagentechnik liefern. Aufgrund hoher Wertschöpfungsanteile ihrer Lieferumfänge ergänzen sich beide Partner gut. In der Lackierlinie L6 werden Kunststoffanbauteile für die Automobilindustrie hochwertig beschichtet. Die Lösemittelanlage umfasst die Bereiche Vorbehandlung, Wassertrockner, Flämmkabine, Primerkabine, Basislackkabine, Klarlackkabine, Klarlacktrockner, Farbversorgung mit High-Runner Systemen sowie molchbare Sonderfarbsysteme. Die Applikation erfolgt durch Roboter des Herstellers ABB. Alle Kabinen arbeiten im Linetracking Betrieb: Die Warenträger fahren an den Robotern vorbei, während diese applizieren. Über einen zentralen Reinraum sind alle Roboterkabinen leicht für das Personal erreichbar.

Eine Skid-Förderanlage in Kombination mit Hub- und Senkstationen bewegt die Werkstücke durch die drei Ebenen der Anlage. Die Montage begann im Sommer 2022. „Egal ob Beflammung, Farbversorgung oder Lackapplikation – in allen Bereichen können wir unsere eigenen Produkte einsetzen, die bereits in vielen Anlagen funktionieren. Hier können wir auf unsere Applikationserfahrung zurückgreifen“, sagt Multhammer.

Asis konzipierte für SMP eine Lösemittellackanlage, da diese bei einer Betrachtung des gesamten Prozesses mit benötigter Anlagentechnik und zugehörigen Energieverbräuchen energieeffizienter als eine Wasserlackanlage ist. Wasserlacke gelten zwar als umweltfreundliche Alternative zu den Lösemittellacken, doch sie benötigen im Vergleich zu Lösemittelanlagen zwei zusätzliche Trockner mit zugehörigen Kühlzonen. Damit steigt neben den Anlagenkosten auch der Energieverbrauch einer Wasserlacklinie. In der Praxis muss bei der Abluftreinigung von Wasserlackanlagen oft mit Gas nachbefeuert werden, während die Lösemittelkonzentration bei Lösemittelanlagen für einen autothermen Betrieb der Nachverbrennung in der Regel ausreichend ist. Überschlägt man den Energiebedarf beider Anlagentypen, ist die Lösemittelanlage wesentlich energieeffizienter als das Wasserlackpendant. Die Lösemittelanlage ist somit in Punkto Investitionskosten, laufenden Kosten und Umweltbilanz der nachhaltigere und effizientere Anlagentyp für das Projekt in Neustadt.

 

BC Farbwechsler
Bei der Applikationstechik, wie hier den BC Farbwechslern, greift Asis auf eigene Produktlösungen zurück. Das Modulsystem bietet hohe Flexibilität für den Aufbau von Farbwechslern (Bild: Asis)

Ganzheitliche Simulation

Bereits während der Angebotsphase und begleitend zur Konstruktion wurden die kalkulierten Durchsätze in einer umfassenden Anlagensimulation untersucht. Die ganzheitliche Betrachtungsweise gelingt durch die Verknüpfung von allgemeinen Robotersimulationssystemen mit einer Materialflusssimulation. Mögliche Engpässe (Bottleneck-Analyse) wurden von den Projektpartnern bereits in der Auslegungsphase erkannt und schon vor dem Aufbau beseitigt. Lackierpläne des Kunden werden in diesem Stadium bereits eingelesen und mit lackierspezifischen Parametern, wie Farbwechselzeiten und -lücken oder bauteilabhängigen Lackierzeiten simuliert. Dieses mächtige Werkzeug wird im Anschluss dem Kunden übergeben, der so bereits im Vorfeld unterschiedliche Prozess-Szenarien simulieren und verifizieren kann.

Die Roboter verteilen sich auf die Stationen Beflammung, Primer, Basislack und Klarlack. Auch sie wurden in einer Simulation im Vorfeld untersucht. Untersuchungen der Erreichbarkeit anhand von CAD-Daten und die Einhaltung der Taktzeit sind heutzutage eine Selbstverständlichkeit in der Anlagenplanung. Mit der Software CC-Edit (Color Change Edit) werden die Spurprogramme gesteuert. Damit ist es möglich, bei komplexen Lackierapplikationen vollautomatische Farbwechselabläufe zu editieren und in die Steuerung zu übertragen. Das Ganze geschieht über eine grafische Oberfläche und ist auch für Anwender ohne Programmierkenntnisse schnell und einfach umsetzbar. Die schlanke Software ist lauffähig auf allen gängigen Windows PCs und kann auch in Bestandsanlagen nachgerüstet werden.

„Im Bereich der Digitalisierung sind starke Weiterentwicklungen zu erwarten,“ so Stephan Dobmayr, SMP Werkleiter Neustadt, „daher ist es uns wichtig, auch in Zukunft alle Möglichkeiten offen zu halten, um flexibel reagieren zu können und immer auf Stand der Technik zu sein.“

 

Lackieranlage bei SMP
Die große Lackieranlage bei SMP umfasst Vorbehandlung, Trocknung, Flämmkabine, verschiedene Lackierkabinen, Farbversorgung mit High-Runner Systemen sowie molchbaren Sonderfarbsystemen. Sie wurde vor der Installation in einer ganzheitlichen Simulation umfassend untersucht (Bild: Asis)

Smarte Sensoren zeichnen Messwerte kontinuierlich auf

Die gesamte Steuerungstechnik der Anlage ist auf aktuelle wie zukünftige Anforderungen der Digitalisierung ausgelegt. Dort wo es möglich und sinnvoll ist, sind smarte Sensoren verbaut. Ihr Vorteil liegt darin, dass der tatsächliche Messwert kontinuierlich ausgegeben und aufgezeichnet werden kann. Konventionelle Sensoren melden meistens lediglich eine Überschreitung des Sollwerts. Die gewonnenen Informationen fließen in eine zentrale Datenspeicherung auf einem Datenbankserver. Bei der Datenbank bedient man sich pragmatisch an der SQL-Technologie. Der Großteil aller dynamischen Internetseiten beruht auf diesem Standard. Abfragen sind geräteunabhängig, besonders schnell und einfach von überall auf der Welt möglich. Die Technologie wird ständig von einer breiten Community auf aktuellstem IT-Sicherheitsstandard gehalten.

Alle Komponenten, die regelmäßig gewartet werden müssen, sind unter anderem mit Zyklenzählern und Sensoren ausgestattet. Diese zählen, wie oft ein Lackventil, eine Pumpe oder ein Motor angesteuert wird. Zusammen mit den smarten Sensoren und der zentralen Datenspeicherung ist dies die Grundlage für das Asis Predictive Maintenance Modul. Damit wird vorausberechnet, wann Wartungen anstehen. Komponenten werden getauscht, bevor sie letztendlich kaputt gehen und die Anlage stillsteht. Prozess- und Maschinendaten werden dafür in Echtzeit analysiert und Wartungsempfehlungen ausgegeben. Wartungen werden planbar und Anlagenstillstände vermieden, der Ressourceneinsatz und die Produktivität werden optimiert und erhöht.

Predictive Maintenance und Prozessdatenerfassung

Im täglichen Betrieb wird die Anlage über die Prozessdatenerfassung Surface Analytics 4.0 ausgewertet und optimiert. Diese gibt einen umfassenden Überblick über die Leistung der Anlage. Verlustquellen werden identifiziert und Maßnahmen abgeleitet. Ein Vergleich zwischen verschiedenen Anlagen ist genauso möglich wie über verschiedene Zeiträume oder Früh- und Spätschicht. Ob OEE-Dashboard, Anlagenverfügbarkeit, Energie- oder Medienverbrauch – die Reports werden in interaktiven Diagrammen mit Filtermöglichkeiten dargestellt und als Monats- oder Wochenreport automatisch per E-Mail an definierte Empfängergruppen versendet. Auch ein Export als PDF, CSV oder XLS ist möglich.

 

Projektteams von Asis und Motherson
Vertreter der Projektteams von Asis und Motherson im Produktionswerk von Motherson in Neustadt.Insgesamt beschäftigt der Automobilzulieferer aktuell 135.000 Mitarbeiter an 270 Standorten (Bild: Asis)

In der Skid-Datenbank sind fehlerhafte Teile lückenlos nachverfolgbar. Mit sicherem VPN-Zugang ist Surface Analytics 4.0 auf allen Endgeräten via Browser auch mobil abrufbar. Selbst die großformatige Darstellung beispielsweise auf Großbildschirmen in der Werkhalle zur Information des Personals sind weitere Einsatzbereiche. Digitalisierung und Smart Factory ist nicht die Wegrationalisierung von Arbeitsplätzen. Vielmehr ist der Mensch weiterhin unerlässlich, um die Systeme zu bedienen, zu verändern und intelligente Maßnahmen zu erkennen und umzusetzen. „Diese Schnittstelle Mensch-Maschine in optimaler Weise, einfach und intuitiv zu gestalten, hat sich die Asis GmbH gemäß ihrem Claim „Connecting Technology and People“ zur Aufgabe gemacht“, sagt Multhammer.
Asis, gegründet 1998 als Zwei-Mann-Betrieb, ist ein Systemanbieter im Bereich automatisierte Oberflächentechnik. Heute produziert Asis an vier Standorten in Deutschland und mit einem Tochterunternehmen bei Shanghai. Das Leistungsspektrum umfasst schlüsselfertige Lösungen für die Beschichtung, Applikationstechnik, Qualitätssicherung, Oberflächenbearbeitung, Elektronenbehandlung, Prozess-Automatisierungstechnik und digitale Simulation.

Motherson hat die Herausforderungen der Digitalisierung angenommen und präsentiert der Branche mit der L6 in Neustadt eine neue Vorzeigeanlage. Bis in der Hochlaufphase die ersten perfekt beschichteten Stoßfänger vom Band laufen, ist noch viel zu tun. Die Weichen sind jedoch schon jetzt auf Zukunft gestellt.