Plattformwechsel in Eisenach
Umfassender Werksumbau im Opel-Werk Eisenach für die Produktion des PSA-Modells Grandland samt Wechsel auf den integrierten Lackierprozess
Das Opel-Werk in Eisenach wurde kurz nach der Wende 1992 zunächst für den Astra in Betrieb genommen, dann wurden Kleinwagen wie der Corsa und der Adam auf der GM-Plattform gebaut. Die Integration in den Stellantis-Konzern machte nicht nur einen Plattformwechsel von GM zu PSA notwendig, der Standort sollte außerdem künftig nicht mehr Kleinwagen, sondern ein SUV produzieren – den Grandland. Dieser wurde bis dahin in dem französischen PSA-Werk in Sochaux hergestellt und dort mit einem integrierten 3-Wet-Prozess ohne Füller beschichtet. In der Konsequenz musste Eisenach aufrüsten und den bisher verwendeten Standard-Lackierprozess mit Primer ersetzen. Noch dazu sollte die bis dahin manuell durchgeführte Innenlackierung automatisiert werden.
Radikaler Umbau
Es gab also einiges zu tun – aber nicht nur in der Lackiererei, auch die Umbauten im restlichen Werk waren ausgesprochen umfangreich. „Es war der größte jemals durchgeführte Umbau seit der Errichtung des Werkes“, staunt Markus Lang, Leiter der Lackiererei in Eisenach, noch immer beeindruckt. „Es war manchmal kaum zu fassen, wieviel Technik im Werk tatsächlich ausgetauscht werden musste – und in welch kurzer Zeit alles ablief. Auch unsere komplette
Lackiererei bestand zwischendurch nur noch aus einem nackten Gerippe. Für das, was wir hier alleine in der Lackiererei im Zuge der Produktionsumstellungen gestemmt haben, würden Planer normalerweise sicher ohne weiteres eineinhalb Jahre veranschlagen.“ Das Zeitfenster in diesem konkreten Fall betrug allerdings nur rund sechs Monate und um überhaupt eine Chance zu haben, die Termine einhalten zu können, begannen die Anpassungen der Neuausrichtung von Prozessen schon in den letzten Produktions-
monaten auf Basis der GM-Plattform. Dazu gehörte im Winter-Shutdown 2018 in der Lackiererei die Umstellung von Vorbehandlungs-, KTL- und PVC-Prozess.
Gestiegener Aluminiumanteil
Da bei dem neuen Modell Kotflügel und Motorhaube aus Aluminium bestehen, musste dem höheren Leichtmetallanteil Rechnung getragen werden. Entsprechend erfolgte die Umstellung der Vorbehandlung auf einen 2-Stufen-Prozess. Weiterhin gab es einen Materialaustausch im KTL-Bad, um im Vorgriff auf den füllerlosen 3-Wet-Prozess die Appearance zu verbessern. Die Maßnahmen bewährten sich noch während der Produktion der GM-Modelle – von Materialein-
sparungen über reduzierten Aufwand bei der Badpflege bis hin zu einer besseren Oberflächenqualität.
Auch im PVC-Bereich nahm man einige Änderungen vorweg, denn künftig würde ja der Füller-Trockner nicht mehr zur Verfügung stehen. Deshalb würde das PVC-Material erstmals nach der Basecoat-Applikation einen Trockner durchfahren, wodurch ohne entsprechende Prozessanpassungen die Gefahr von Ausgasungen und Lackierfehlern dramatisch steigt. Auch wenn das neu eingeführte Material bereits 4-Wet-tauglich ist, wird es in Eisenach bisher noch im 3-Wet-Prozess gearbeitet.
„Derzeit ist noch einer der ehemals zwei Fülleröfen mit 120 Grad in Betrieb. Zuvor liefen an dieser Stelle zwei Öfen mit jeweils 160 Grad“, berichtet Lang. „Schon dadurch sparen wir etwa 650.000 Tonnen CO2 pro Jahr. Wenn wir dann auf 4-Wet-Prozess umstellen können, sinkt unser CO2-Ausstoß noch einmal um 650.000 Tonnen.“ Die Herausforderung bei der Umstellung auf den 4-Wet-Prozess liegt darin, dass es zu keinen Einschränkungen bei der Qualität kommen darf, wenn das PVC-Material ohne jede Vortrocknung in den Lackierprozess eingebracht wird. Um das zu erreichen, müssen nicht nur die Prozesse in der Lackiererei betrachtet werden, sondern auch der Rohbau und hier speziell die Rohbaukleberapplikationen. Deshalb arbeiten spezielle Teams daran, die Erfahrungen aus Rohbau und Lackiererei zusammen zu führen und entsprechende Optimierungen zu erarbeiteten.
Diese frühen Umstellungen bildeten aber nur die Überleitung zu den wirklich radikalen Umbaumaßnahmen, die im Mai 2019 im gesamten Werk begannen. Zu diesem Zeitpunkt stoppte die Produktion auf Basis der GM-Plattform und alles musste so schnell wie möglich auf die PSA-Plattform und das neue Modell umgerüstet werden.
Weiterverwenden ist nachhaltig
Im Bereich der Lackierlinie übernahm der Anlagenbauer Dürr den Umbau – auch die Erstausrüstung des Werkes stammte bereits aus Bietigheim-Bissingen. Trotz der umfangreichen Prozessumstellung galt die Devise möglichst viel bestehende Anlagentechnik weiter zu verwenden. Deshalb transplantierte man zum Beispiel die frühere Primerlinie von ihrer früheren Position in die Hauptlackierlinie und rüstete sie für die Applikation der BC0 genannten ersten Basislack-Schicht um. Sogar die Lackleitungen wurden sorgfältig gespült und konnten dann ohne Nachteile wiederverwendet werden.
Trockene Reinigung mit Federwalzen
Für die Reinigung der Karosserien kam bei Corsa und Adam ein Portal mit Feder-Walzen zum Einsatz, die jedoch wenig Flexibilität für unterschiedliche Karosserieformen bieten. Entscheidend war außerdem, dass ausgeschlossen werden musste, noch nicht ausgehärtetes PVC-Material zu verstreichen. Diese Problemstellung ließ sich sehr gut durch zwei robotergeführte Federwalzen mit Absaugung lösen, die sich in ihren Bewegungen sehr flexibel an die Karosserie anpassen lassen und es erlauben, die kritischen PVC-Bereiche sicher zu vermeiden. Die Anlage, die mit nur zwei Robotern die von Opel geforderten 30 Jobs netto pro Stunde problemlos erreicht, stellte Dürr übrigens auf dem OpenHouse 2019 noch vor der Montage in Eisenach vor. Vorteilhaft gegenüber anderen Lösungsansätzen ist außerdem, dass die Federwalzen recht wartungsarm sind und in Eisenach nur einmal bei der turnusmäßigen Wartung im Sommer gewechselt werden.
Zusätzliche Roboterstation
Die einzigen beinahe unverändert übernommenen Bereiche der Lackierlinie sind die Basislack- und Klarlack-Applikation im Exterieur. Für die automatisierte Interieurlackierung wurde im ehemaligen Handbeschichtungsbereich eine neue Roboterstation mit dem für die Innenlackierung optimierten EcoBell3-Hochrotationszerstäuber aufgebaut – allerdings ohne Elektrostatik. „Wir sind zusammen mit Opel zu der Entscheidung gekommen, dass es den Prozess deutlich robuster macht, im Basislack beim Interieur auf Elektrostatik zu verzichten, zumal der Gewinn an Auftragswirkungsgrad im Verhältnis zur zunehmenden Komplexität nicht so gewaltig ist“, erklärt Dr. Pavel Svejda, der für Dürr das Projekt betreute.
„Dieses Thema kann zu einer leidenschaftlichen Diskussion führen“, weiß Lang. „Neben Dürr hat uns auch unser Rüsselsheimer Entwicklungszentrum darin bestärkt, auf die Hochspannung zu verzichten, denn die schwierigen Geometrien und vielen Kanten im Innenraum machen es schwierig, mit Elektrostatik einen signifikanten Vorteil zu erzielen.“ Mehr Komplexität ist tatsächlich nicht immer der richtige Weg und das Ergebnis ist auch so schon sehr vorzeigbar, denn die Lackeinsparungen liegen bei beachtlichen 30 Prozent.
30 Prozent Einsparungen
Das kann nicht verwundern, denn ein manueller Lackierer in der Serie schafft nur Auftragswirkungsgrade zwischen 20 und 35 Prozent, während die EcoBell3 auch ohne Elektrostatik auf über 60 Prozent kommt – daraus folgen Lackeinsparungen von bis zu 550 Millilitern pro Karosserie. Weitere Einsparungen konnten durch den Einsatz aktueller Farbwechsler-Technologie in der Interieur-Lackierung.erzielt werden. Hier schrumpften die Farbverluste von bis zu 60 auf zehn bis 15 Milliliter – bei einer Zeitersparnis von über fünf Sekunden. Aber nicht nur bei der Applikation, auch bei der Zerstäuberreinigung konnten Fortschritte verezeichnet werden. Die neueste Generation von Zerstäuberreinigungsgeräten aus dem Hause Dürr verbraucht pro Reinigungszyklus nur noch 50 Milliliter bei einer Reinigungszeit von nur 15 Sekunden. Das ist weniger als ein Zehntel dessen, was die erste Generation verbrauchte – und das bei einer mehr als halbierten Zykluszeit.
Anlagenfakten
Vorbehandlung: Henkel Vorbehandlung; EPIC-KTL-Lack |
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Trockenreinigung: 2 Federwalzen (Dürr EcoRS Clean F), robotergeführt, Absaugung |
Basislack: 16 Roboter EcoRPE 133, Wandmontage; Exterieur: 12x EcoBell 3E; Interieur: zusätzliche Linearachse; 4x EcoBell 3Ci ohne Hochspannung, 1 Handlingroboter; Farbwechsler: EcoLcc1; EcoPump9 von Dürr |
Zwischentrocknung: Konvektionsofen, 28 m lang |
Klarlack: 8 Roboter EcoRPE 133; Exterieur: 4 x EcoBell 3; Interieur: 4 x EcoBell 3Hi; Farbwechsler: EcoLcc1; Lackversorgung: EcoPump9 von Dürr |
Zerstäuberreinigung: 16x Dürr EcoBell Cleaner D2 |
Fördertechnik: Skidförderer (Dürr) |
Ein interessantes Detail bei der Basislack-Applikation für das Interieur ist, dass nur ein Haubenöffner-Roboter für die Haube zum Einsatz kommt, während die vier Lackierroboter jeweils mit einem Pin ausgerüstet sind, um bei der Einfahrt der Karosserie die Türen selber zu öffnen. Das spart Handlingroboter und ist möglich, weil durch Türscharniere mit integrierten Türbremsen die Türen – einmal geöffnet – auch offen bleiben. Die dafür notwendige Annäherung an die Karosserie ist aber nur deswegen möglich, weil ohne Elektrostatik gefahren wird, ansonsten müsste jedes Mal vor einer Türöffnung oder Schließung die Hochspannung heruntergefahren werden – keine ernsthafte Option. Um für alle Eventualitäten der Zukunft gerüstet zu sein, haben die Planer allerdings auch Möglichkeiten zur Nachrüstung entsprechender Handling-
roboter vorgesehen.
Der Umluftofen zur Zwischentrocknung zwischen Basislack und Klarlack musste komplett neu gebaut werden, da der bisher verwendete Infrarotofen nicht den von PSA vorgegebenen Prozessspezifikationen entsprach. Die Klarlack-Applikation erfuhr eine Umstellung auf 2K, im Interieur erfolgt die Beschichtung mit einer EcoBell3 Hi mit Innenaufladung. Die Lacknebelabscheidung übernimmt nach wie vor eine Nassauswaschung, die allerdings verlängert und modifiziert werden musste, um ihre Aufgabenstellung auch unter den veränderten Bedingungen erfüllen zu können.
Automatische Lackfehler-Analyse
Gleichzeitig mit der Modellumstellung wurde auch die Qualitätssicherung auf ein automatisiertes System umgestellt, auf das Eagle Eye von der Firma J3D, das gemeinsam mit der Universität Zaragoza entwickelt wurde. Es basiert auf einer Streiflichtprojektion mit LED Licht. Während der Inbetriebnahmephase galt es zunächst, die Anlage bezüglich der Fehlerbilder, die erkannt werden sollten, anzulernen. Die Ergebnisse waren prinzipiell sehr zufriedenstellend, allerdings konnte in dieser Ausbaustufe stets nur eine Farbe analysiert werden, weil das System nur mit 24 Kameras ausgerüstet war. Bei mehrfarbigen Fahrzeugen waren also zwei Durchläufe notwendig. Ostern 2021 löste ein Upgrade diese Problematik, bei dem hardwareseitig zusätzliche Kameras installiert wurden. Nun ist die Auswertung auch zweifarbig lackierter Karossen in einem Durchlauf möglich. „Die Fehlererkennungsrate liegt bei 98 Prozent, das ist gegenüber einer manuellen Qualitätskontrolle, bei der die Quote nur zwischen 80 und 90 Prozent liegt, eine deutliche Verbesserung“, freut sich Lang. „Allerdings hat das System vor allem in schattenreichen Bereichen – wie zum Beispiel bei vielen Karosseriekanten – leider noch Unsicherheiten. Trotzdem ist es ein bemerkenswerter Forstschritt.“
Erfolgreicher Systemwechsel
Insgesamt ist die Leistung des Werkes Eisenach bei der Transformation von GM zur PSA-Plattform und zu einem völlig neuen Fahrzeugsegment in dieser kurzen Zeit beeindruckend. „Im Nachhinein sind wir manchmal selber überrascht, was wir alles in den sechs Monaten geschafft haben“, überlegt Lang. „Neue Prozesse, neue Lieferanten, neue Technik, und dann termingerecht die neue Fertigung hochfahren – es hat alles geklappt.“ Übrigens ist der Standort nun mit über 80 Prozent Automatisierung auf Platz drei was die Automatisierung angeht – von immerhin 52 Lackierereien weltweit im Stellantis-Konzern. Aber lange Ruhepausen wird es deshalb wohl nicht geben: Neben dem Projekt 4-Wet steht im September ein Facelift des Grandland an – und der Serienanlauf hat bereits begonnen.CB
►Opel Automobile GmbH
www.opel.de
►Dürr AG
www.durr.com