Zurück in alter Stärke

ZVO-Oberflächentage in Leipzig mit 515 Teilnehmern und hochaktuellen Themen ein großer Erfolg

Intensiver Austausch: 515 Teilnehmer im Kongresszentrum Leipzig auf den ZVO Oberflächentagen (Bild: CB)

Neben den klassichen und bewährten Themen bot die diesjährige Veranstaltung vom Energieforum über Recycling und Zirkularität bis hin zur Überlastung von Führungspersonen durch die aktuellen Krisensituationen mehr als 80 hochinteressante Vorträge.

Nachdem die ZVO-Oberflächentage 2021 nach der Pandemie noch mit einer relativ geringen Teilnehmerzahl, aber mit einer sehr guten Stimmung stattfanden, fand die Veranstaltung in diesem Jahr zu alter Größe zurück. Deutlich über 500 Teilnehmer und am Donnerstag vier sowie am Freitag fünf parallele Vortragsreihen ließen inhaltlich mit einem breit aufgestellten Themenspektrum keine
Wünsche offen.

Am Donnerstag stand die erste Session ganz im Zeichen der Klimaneutralität sowie Energie und Ressourceneffizienz – angesichts der drohenden Versorgungssituation im Bereich von Strom und Gas noch wichtiger als früher. Viele interessante Fachthemen standen am ersten Veranstaltungstag auf dem Programm – von der Wertstoffrückgewinnung in der Galvanik mit dreiwertigen Chromelektrolyten über die Chancen und Herausforderungen für nachhaltige Energiespeicher bis hin zur Maximierung der Performance von Fahrzeugen durch intelligente Materialauswahl. Auch die die Session 4, das Unternehmerforum unter dem Titel „Management meets Oberfläche“ stieß auf reges Interesse, unter anderem  das Energieforum.

Lichtdurchflutet: Der größte Teil der Industrieausstellung mit 65 ausstellenden Unternehmen zog sich über die gesamte Länge des modernen leipziger Kongresscenters (Bild: CB)

Strategien im Energieforum

Nach einem Einführungsvortrag von Anke Herzfeld und Silvia Bauer von der bwh-energy, einem Unternehmen, das zu Energiebeschaffung und Einkauf beratend tätig ist, startete eine lebhafte Diskussionsrunde, in der die Teilnehmer angeregt diskutierten. Ab Seite 19 in dieser Ausgabe finden Sie drei ausführliche Interviews, die angesichts der derzeitigen Situation mögliche Strategien und Perspektiven in diesem Kontext aufzeigen.

Sehr unterhaltsam regte ein Vortrag von Oliver Breitscheid zum Nachdenken über das Rollenverhalten und die Erwartungen bei einem Audit an, mit denen beide Parteien aufeinandertreffen. Er empfahl aus jahrelanger Praxis im Absolvieren von Audits einen konstruktiven und aktiven Umgang mit der Situation – und den Auditor nicht per se als Feind des eigenen Betriebes zu sehen. Denn einem Auditor geht es ja normalerweise nicht darum, einen Betrieb zu drangsalieren, sondern Schwachpunkte im Bereich von Organisation und Ablauf in Bezug auf die Prozesssicherheit zu finden. Breitscheid empfiehlt, diesen unabhängigen Blick auf die innerbetrieblichen Abläufe konstruktiv für Verbesserungen zu nutzen. Außerdem rät er, nicht einfach Verbotsschilder aufzuhängen, wenn Mitarbeiter Dinge tun, die so nicht vorgesehen sind – sondern sich zu fragen, warum jemand etwas tut. Nicht selten hat solches Verhalten sachlich nachvollziehbare Gründe – zum Beispiel wenn Türen unerlaubt geöffnet werden, weil es zu warm ist.

Ein weiterer Tipp ist, in einem Audit tatsächlich nur ganz konkret die gestellten Fragen zu beantworten und nicht unnötig weit auszuholen. Erfahrene Auditoren finden nicht selten genau das, was sie nicht finden sollten, weil sich die Verantwortlichen des Betriebes in der Vorbereitung mit den internen Schwachstellen auseinandergesetzt haben und den Auditor mit ihrem Verhalten oder ihren Aussagen genau in diese Richtung locken – obwohl sie bewusst das Gegenteil erreichen wollen.

Überlastung – ein Tabuthema

Ungewöhnlich für eine sehr technisch- und produktionsorientierte Veranstaltung wie die Oberflächentage, und doch aufgrund der angespannten Zeiten sehr passend, war ein Vortrag von Manuela Schmied-Wolfsbauer zu den Herausforderungen der Mitarbeiterführung in Zeiten von Lieferengpässen. Sie ging auf die Problematik der aktuellen Situation ein, die geprägt ist von Unsicherheiten in jeglicher unternehmerischer Richtung, von Störungen der Lieferketten, enormen Kostensteigerungen und unklaren Marktperspektiven. Aus ihrer Coaching-Praxis berichtete sie, dass insbesondere Führungskräfte sich schwer damit tun, mit Überforderung umzugehen und sich damit nicht selten selber immer weiter Richtung Burnout treiben. Je mehr Verantwortung in einem Betrieb auf den Schultern einer Person lastet, desto schwieriger, wenn nicht unmöglich, ist es, innerhalb des Betriebes jemanden zu finden, mit dem ein offener Austausch möglich ist. Schmied-Wolfsbauer empfiehlt, sich einen Vertrauten außerhalb des Betriebes zu suchen, mit dem mindestens einmal die Woche ein offenes Gespräch über Probleme und Nöte möglich ist. Auch empfiehlt sie, den Kalender zu nutzen, um sich konzentrierte Zeit für dringende Aufgaben freizuräumen – und diese nicht wild jonglierend zwischen all den anderen wichtigen Dingen des Tages zu erledigen. Auch machte sie anhand von Zahlenbeispielen deutlich, wie teuer Personal-Fluktuation ist und dass es sich alleine schon deshalb lohnt, die Zufriedenheit und persönliche Konstitution der Mitarbeiter wichtig zu nehmen. Nicht zuletzt hat sich der Arbeitsmarkt verändert. Inzwischen suchen sich immer häufiger nicht die Betriebe den Mitarbeiter aus, sondern die Mitarbeiter den Betrieb. Und nicht zuletzt durch entsprechende Onlineportale funktioniert die Buschtrommel zwischen Arbeitnehmern hervorragend, welcher Betrieb mehr und welcher weniger zu empfehlen ist.

 

Das Thema Audit stieß auf erhebliches Interesse – aber auch viele andere Vorträge zu aktuellen Themen zogen die Besucher in die Vortragssäle, zum Beispiel das Energieforum (Bild: CB)

Nachhaltigkeit: Risiken und Handlungsbedarf

Manfred Hofschneider von Tribicon ging auf die Chancen und Risiken der Energiewende in Deutschland ein und legte den Finger deutlich in die Wunden einer unstrukturierten und planlosen Energiepolitik. Insbesondere wies er auf die signifikante Gefahr hin, dass andere Industrieländer auf Basis anderer Strategien hinsichtlich der Energieversorgung deutlich an Wettbewerbsfähigkeit gewinnen könnten und das deutsche Unternehmen mittel- bis langfristig erhebliche Anstrengungen unternehmen müssen, um nicht zu den Verlierern der Energiewende zu werden. Darüber hinaus ging er darauf ein, was Betriebe konkret tun können um die eigene Effizienz zu verbessern. So trägt eine Netzqualitätsanalyse samt abgeleiteter Maßnahmen meist erheblich dazu bei, die Stromkosten zu senken, zum Beispiel durch eine Nullleiter-Entlastung, die Behebung von Phasenunsymmetrien und weitere Maßnahmen, die durch ein integriertes Energieeffizienzsystem möglich sind. Auf Basis einer Kundenanalyse von 2019 zeigte er, dass durch solche Verbesserungen bei der Energieharmonisierung, Verbrauchsreduzierung und Energiebeschaffung Einsparungen von im Schnitt 55 Prozent möglich sind – in extremen Fällen sogar von bis zu 78 Prozent. Großes Potenzial liegt außerdem in der Optimierung des diskontinuierlichen Betriebes von Anlagentechnik. Als Fazit sieht er die Wettbewerbsfähigkeit des Industriestandortes Deutschland aufgrund der Auswirkung der Energiewende erheblich gefährdet und eine reale Gefahr, dass fehlende Kapazitäten zu Netzabschaltungen führen werden. Von daher empfiehlt er, Maßnahmen zur Erreichung der Energieautarkie mit hoher Priorität umzusetzen. Aufgrund der Entwicklung auf den Energiemärkten sieht er außerdem den strategischen Energieeinkauf erheblich an Bedeutung gewinnen.

Lars Baumgürtel von Zinq stellte die Anforderungen und Lösungskonzepte für die zirkuläre Oberflächentechnik vor. Der Circularity Gap Report (2022) zeigt, dass eine Kreislaufwirtschaft in der Lage wäre, die globalen Treibhausgasemissionen um 39 Prozent und den Verbrauch von Rohstoffen um 28 Prozent zu reduzieren. Allerdings sind tatsächlich nur neun Prozent der Weltwirtschaft zirkulär. Die Zinq-Gruppe hat deshalb seit Anfang 2022 die ReZINQ Rücknahmegarantie eingeführt, um Zink und Stahl in getrennten Kreisläufen in zirkulärer Qualität wiederverwerten zu können. Darüber hinaus präsentierte Baumgürtel einen sehr plausiblen Bottom-Up-Ansatz für die Einführung von Produktpässen, die es auch KMU mit einem vertretbaren Aufwand erlauben, die Nachhaltigkeits-Daten eines Produktes oder Stoffes in die eigene Nachhaltigkeitsbilanz aufzunehmen und in der Prozesskette weiterzugeben. Letztendlich sind das sehr relevante Schritte auch im Hinblick auf die neue Ökodesign-Richtlinie, die es in Zukunft schwer machen wird, Produkte auf den Markt zu bringen, die solche Nachhaltigkeitsanforderungen nicht erfüllen. Abschließend wies er darauf hin, dass ein großer Bedarf besteht, Kunststoff aus Beschichtungen, also Lacken jeder Art, wieder zu verwenden und zu verhindern, dass er als Mikroplastik Gewässer und Böden verschmutzt. Rund 7,4 Millionen Tonnen entgehen bisher dem Recycling und davon gelangen
60 Prozent in die Böden!

 

Alles in allem gelang es dem ZVO, im Vortragsprogramm sehr viele und wichtige aktuelle Themen aufzunehmen und trotz des nach wie vor schwierigen Umfeldes eine sehr gelungene Veranstaltung auf die Beine zu stellen (Bild: CB)

Stilllegung eines Störfallbetriebes

Hochspannend war ein Vortrag zur strategisch motivierten Stilllegung eines eigentlich hervorragend aufgestellten Störfallbetriebes – mit erweiterten Pflichten nach 70 Jahren Betriebszeit. Dabei wurde deutlich, welcher Aufwand und welche problematischen Überraschungen dabei auf die Durchführenden lauerten. Nicht zuletzt, weil in den 70 Jahren der betrieblichen Aktivität in jeglicher Hinsicht viel passiert war – von Umbauten über Produktionsumstellungen bis hin zu Bränden. Am Ende gelang es durch das enorme Engagement aller Beteiligten, die termingerechte Stilllegung zu erreichen, die Kosten lagen bei über zwei Millionen Euro – zuzüglich einer noch notwendigen Bodensanierung.

Entscheidungen für komplexe Systeme

Eine weitere bemerkenswerte Vortragsreihe am Freitag beschäftigte sich mit der Entscheidungsfindung für komplexe
Systeme. Hierbei wurden zunächst einmal die Charakteristika eines komplexen Systems erläutert und aufbauend darauf auch anhand von Praxisbeispielen gezeigt, warum gut gemeinte Maßnahmen und Veränderungen in der betrieblichen Praxis mitunter zu unerwarteten, möglicherweise sogar problematischen und kontraproduktiven
Entwicklungen führen. Über 80 Vorträge zu den unterschiedlichsten Themen der Oberflächentechnik wurden in Leipzig geboten, so standen auch die Gefahren des Cyber-Crime auf der Agenda und die Möglichkeiten, die daraus resultierenden wirtschaftlichen Risiken abzufedern. Oder das Recycling von metallischen Überzügen von Kunststoffbauteilen, samt Recycling und Wiederverwendung des Substrates. In Zeiten dramatisch steigender Ressourcenknappheit gehört schließlich sowohl Recycling als auch die Vermeidung von Ausschuss zu den Schlüsselfaktoren der Kostenreduzierung. Weitere Vorträge behandelten das Thema KI-Technologie in der Galvanotechnik sowie Galvanik 4.0 in der Umsetzung.

ZVO-Hauptgeschäftsführer Christoph Matheis wertet die diesjährige Ausgabe als klaren Erfolg: „Wir haben ein überwältigendes Feedback zu den diesjährigen ZVO-Oberflächentagen in Leipzig erfahren. Gelobt wurden sowohl der Veranstaltungsort – die Kongresshalle am Zoo für die Eröffnungsfeier und das Congress Center Leipzig für Vortragsprogramm und Industrieausstellung – als auch die Themenauswahl und Qualität der Vorträge. Auch unsere 65 Aussteller waren mehr als zufrieden und berichteten von vielen guten Gesprächen an den Ständen. Obwohl wir mit 515 Teilnehmern noch nicht ganz an Vor-Corona-Zeiten anschließen konnten, haben die #OTLeipzig22 die Erwartungen übererfüllt. Vielleicht die insgesamt rundeste Veranstaltung, die wir bislang hatten!“  Dem kann man tatsächlich auch als unabhängiger Beobachter nicht viel hinzufügen – alles in allem gelang es dem ZVO, im Vortragsprogramm sehr viele und wichtige aktuelle Themen aufzunehmen und trotz des nach wie vor schwierigen Umfeldes eine sehr gelungene Veranstaltung auf die Beine zu stellen. Online auf oberflaeche.de finden Leser der mo außerdem eine Bildergalerie der Veranstaltung.

CB