Wie Moosbach den Green Deal umsetzt
Erfahrungsbericht: Herausforderungen für KMU mit den Zielen Klimaneutralität und Nachhaltigkeit
Der Green Deal soll Europa als ersten Kontinent bis 2050 klimaneutral machen. Große Themen sind dabei CO2-Neutralität und Kreislaufwirtschaft. Die Umsetzung erfordert umfangreiches Datenmaterial, das mit Hilfe der Digitalisierung erarbeitet werden muss. Alles in allem kommen erhebliche Anstrengungen auf die Industrie zu.
Klimaneutralität und Nachhaltigkeit sind die Themen, die uns in den kommenden Jahren herausfordern werden. 2019 stellte Ursula von der Leyen die zehn Ziele des Green Deal vor, mit dem Europa als erster Kontinent bis 2050 Klimaneutralität erreichen soll. Zwei der zehn Ziele sind für die Branche vorrangig und sollten, nicht zuletzt aufgrund der fortschreitenden Klimaveränderungen, zeitnah umgesetzt werden. Das sind die Themen CO2-Neutralität und Kreislaufwirtschaft. Für deren Umsetzung ist umfangreiches Datenmaterial notwendig, welches mithilfe der Digitalisierung gesammelt, ausgewertet und für diese und andere Themen eingesetzt werden kann.
Der CO2-Fußabdruck ist eine Voraussetzung, um die CO2-Neutralität zu erreichen. Dieser unterteilt sich in drei Bereiche (siehe Abbildung 2), die in der Literatur auch mit Scope 1, 2 und 3 bezeichnet werden. Die direkten Emissionen, Scope 1 genannt, werden aus fossilen Brennstoffen erzeugt – unter anderem bei der Erzeugung von Wärme oder durch Fahrten mit dem Firmenfahrzeug. Die indirekten Emissionen, Scope 2, stammen aus Energiequellen wie Strom oder Fernwärme, bei deren Erzeugung bereits CO2 entstanden ist. Weitere indirekte CO2-Quellen, Scope 3, entfallen auf die Produktionstätigkeit, Transporte von Erzeugnissen und Rohstoffen, und nicht zu vergessen, die Fahrten der Mitarbeiter zum Arbeitsplatz.
Zur Erstellung des CO2-Fußabdrucks stehen kostenlose Programme im Internet zur Verfügung. Umfangreicher und genauer erstellt ein Energieberater den CO2-Fußabdruck, auf Wunsch nach DIN EN ISO 140641. Eine Datenerhebung, sinnvollerweise über drei Jahre, kann in aller Regel aus der Buchhaltung entnommen werden. Festzuhalten ist aber, dass die vorhandenen Programme unterschiedlich arbeiten und bewerten, sodass die Ergebnisse nur bedingt untereinander vergleichbar sind.
Aufruf zu branchenweitem CO2-Fußabdruck
Im Frühjahr dieses Jahres folgten einige Mitgliedsunternehmen dem ZVO-Aufruf zur Erstellung eines branchenweiten CO2-Fußabdrucks über die Jahre 2019 bis 2021, mit der Option einer Einzelauswertung für die teilnehmenden Unternehmen. Die in Abbildung 3 dargestellte Grafik ist das Ergebnis dieser Auswertung, beispielhaft für die Lohngalvanik Moosbach & Kanne GmbH. Wie erwartet stammt der Hauptanteil an CO2-Emission aus Strom und Wärme, Scope 1 und Scope 2. Scope 3 setzt sich zum überwiegenden Teil aus den Anfahrtswegen der Mitarbeiter zusammen.
Während man im Jahr 2019 auf einen normalen Geschäftsbetrieb zurückblickt, musste die Geschäftstätigkeit durch den coronabedingten Lockdown im darauffolgenden Jahr heruntergefahren werden, was sich in den Emissionswerten widerspiegelt. 2021 normalisiert sich der Geschäftsbetrieb, jedoch sind die Emissionen nicht auf das Niveau von 2019 angestiegen. Energie- und CO2-Einsparung stehen in der Lohngalvanik Moosbach & Kanne schon seit 2015 im Fokus. Gründe hierfür sind die Installation von PV-Anlagen. Insgesamt konnte durch technische Änderungen, dazu gehörte die Installation von LED-Beleuchtung, der Austausch von Gleichrichtern, die Wärmerückgewinnung aus der Abluft und die Inbetriebnahme eines Blockheizkraftwerks in den Jahren 2015 bis 2021 der CO2-Ausstoß um insgesamt 205 Tonnen pro Jahr gesenkt werden.
Verfolgt man weiter das primäre Ziel der Klimaneutralität, müssen Stellschrauben für die Senkung der CO2-Emissionen gefunden werden. Diese Maßnahmen wurden im Rahmen von notwendigen Gebäude- und Anlagensanierungen und effektiverer Nutzung der eingesetzten Energiequellen durchgeführt. Um weitere CO2-Senkungen zu erreichen, wären beispielsweise der Austausch von intakten aber weniger effizienten Anlagen und der Einsatz von grünem Strom zur Wärmeerzeugung zu nennen. Die Erzeugung von „grünem Strom“ aus Solarenergie reicht in unseren Breiten nicht aus und weitere Quellen wie die Windkraft können nicht an jedem Standort genutzt werden. Welche Stellschrauben können gefunden werden, um das primäre Ziel der Klimaneutralität in absehbarer Zeit zu erreichen?
Wie ist Klimaneutralität zu erreichen?
Im Vordergrund stehen Einsparmöglichkeiten durch Änderungen von Verhalten und Arbeitsgewohnheiten, die kostenneutral sind. Dazu gehören insbesondere Heiz- und Reisegewohnheiten oder das Zusammenlegen von Produktions- und Logistikabläufen. Mit Kosten verbunden sind technische Änderungen, wie Dach-, Fassaden- und Fensterisolierung, PV-Anlagen, Wärmetauscher, Energiespeicher, Wannen- und Leitungsisolation, Beleuchtung, E-Mobilität, Verfahrensumstellung. Um diese Stellschrauben sinnvoll anzuwenden, sind zunächst Daten aus den unterschiedlichen Arbeitsbereichen erforderlich.Die Analyse dieser digitalisierten Daten zeigt, dass stabile Prozesse mit mehr Prozesssicherheit sowie die Reduzierung des Chemikalienverbrauchs ein erhebliches Potenzial haben, die CO2-Emissionen zu reduzieren.
Als Beispiel kann hier die Badführung einer Dickschichtpassivierung dienen, die bei einer Verzinkerei über fünf Jahre begleitet und deren Daten aufgezeichnet wurden (siehe Abbildung 4). Mit Hilfe der digitalen Erfassung und Auswertung der Prozessdaten konnte zunächst der Eingriffsbereich verkleinert und im weiteren Verlauf die Prozesstemperatur gesenkt, die Lufteinblasung eingestellt und schließlich die Prozess- und Abwasserchemikalien um 27 Prozent reduziert werden. Außerdem konnte durch die Absenkung der Prozesstemperatur um 40°C von 60°C auf Raumtemperatur zusätzlich Wärmeenergie und damit CO2 eingespart werden. Denn das Erwärmen von einem Kubikmeter Wasser von 20 °C auf 60°C erfordert 58 kWh, was einer Gasmenge von 5,4 m3 mit einer CO2-Emission von 12,5 Kilogramm entspricht. In Tabelle 1 sind die CO2-Äquivalente der Energieträger Strom, Erdöl und Erdgas gegenübergestellt.
Bei Betrachtung der galvanischen Schichten sind bereits Anforderungen im Hinblick auf die Kreislaufwirtschaft erfüllt. Sie leisten einen erheblichen Beitrag zur Nachhaltigkeit eines Produkts, indem sie die Lebensdauer verlängern, den Korrosionsschutz optimieren, die Haltbarkeit im Gebrauch verbessern und außerdem vor Umwelteinflüssen schützen. Weiterhin ermöglicht die Galvanotechnik eine wirtschaftlich und strukturell sinnvolle Wahl der Grundmaterialien für die Bauteile eines Produkts, welches durch die galvanischen Beschichtungen einheitlich erscheint. Die in Abbildung 5 gezeigte Sanitärbrausearmatur besteht aus vier verschiedenen Grundmaterialien, was im Gesamtbild für den Verbraucher nicht zu erkennen ist.
Galvanisch beschichtete Metallteile sind recyclebar und können in den Materialkreislauf zurückgeführt werden. Zusätzlich zeigen Ergebnisse neuer Prozesse, dass es möglich ist, galvanisierte Kunststoffe in die Bestandteile Kunststoff und Metall zu zerlegen und den hierbei anfallenden Kunststoff erneut zu Spritzgussteilen zu verarbeiten. Mit dem Produktionsausschuss wird dieses Verfahren in Kunststoff-Galvaniken bereits erfolgreich angewendet. (OT22: „Kreislaufwirtschaft durch Nutzung von Rezyklaten bei galvanisierten Kunststoffen“, Dr. Felix A. Heinzler, BIA Kunststoff- und Galvanotechnik GmbH & Co. KG; „Recycling von metallisierten Kunststoffen durch hochenergetische Impulsbehandlung“, David Zapf, Hansgrohe SE). Galvanische Oberflächen werden zwar mit einem hohen Energieeinsatz erzeugt, demgegenüber stehen jedoch in der Gesamt-CO2-Bilanz die aufgeführten Nachhaltigkeitsvorteile.
EU: Produktpass nur Frage der Zeit
Um dem Verbraucher Informationen über die bei der Herstellung angefallenen Treibhausgase und Angaben über Nachhaltigkeit und Möglichkeiten zum Recyclen an die Hand zu geben, wurde von der EU die Idee des Produktpasses ins Leben gerufen. Bei jeder Unternehmenstätigkeit fallen in internen und externen Bereichen große Datenmengen an, die gespeichert werden sollten. Durch interne Vernetzung und Verarbeitung der Daten können die für den Produktpass relevanten Daten extrahiert werden. Für die EU ist der Produktpass, auch wenn es aktuell noch keinen festen Termin hierfür gibt, beschlossene Sache. Deshalb lautet die Empfehlung an jeden Hersteller, bereits heute alle produkt- und produktionsspezifischen Daten zu digitalisieren, auszuwerten und betriebsintern zu katalogisieren.
Recherchen im Internet zeigen auf, dass die wenigen aktuell existierenden Produktpässe weit von den Anforderungen der EU entfernt sind, ohne dass es bis heute genaue Richtlinien gibt. Fest steht, dass komplexe Lieferketten, zu denen Galvaniken als Binde- oder Zwischenglied zählen, sich aktiv in die Richtlinien für Produktpässe einbringen sollten, um den Aufwand so gering wie möglich und das Ergebnis so umfangreich wie nötig zu gestalten. Wirtschaftsverbände wie der ZVO können und müssen als Bindeglied zwischen Wirtschaft und Politik fungieren. Im Hinblick auf Klimaneutralität und Nachhaltigkeit stehen die kleinen und mittelständischen Unternehmen der Oberflächenbranche vor großen Herausforderungen, die aber nach den bisherigen Erfahrungen gemeistert werden können, wenn grundsätzlich die technischen Möglichkeiten gegeben sind, die Energieversorger und Netzbetreiber mitspielen und die Bürokratie bewältigbar bleibt. Hier ist die Politik und die Behörden gefragt, für schnelle Bearbeitung von Anträgen zu sorgen und die nötigen Fördermittel bereitzustellen. Denn wenn die Finanzierung von Maßnahmen zur Reduzierung des CO2-Fußabdruck nicht gesichert ist oder auch eine Wirtschaftlichkeit nicht absehbar ist, kann die Transformation der Betriebe in größerem Umfang nicht erfolgreich
verlaufen.
Dr. Elke Moosbach, Dr. Elke Spahn
Moosbach & Kanne GmbH
www.moosbach-kanne.de
Gravitech GmbH
www.gravitech.de