Auf dem Weg zum Kugelstrahlen 4.0

Fortschrittliches Prozess- und Qualitätsmanagement für die Digitalisierung in automatisierten Druckstrahlanlagen

Kugelstrahlen
Abb. 1.: Beim Kugelstrahlen spielt die räumliche und zeitliche Ausrichtung von Strahldüse und Werkstück eine zentrale Rolle. Die Bewegung von Strahldüse zu Werkstück beeinflusst den Auftreffwinkel (Bild: sentenso)

Kugelstrahlen ist ein Spezialprozess mit frei fliegenden Werkzeugen. Die Arbeit der Strahlkugeln auf der Oberfläche kann daher nicht so einfach wie in einer Werkzeugmaschine gesteuert werden. Dementsprechend schwierig gestaltet sich die Digitalisierung von Prozess- und Qualitätsparametern für die Anforderungen der Industrie 4.0.

Generationen von Ingenieuren arbeiten seit über 150 Jahren daran, die fliegenden Strahlkugeln sowie deren Einwirkung auf die Oberfläche in den Griff zu bekommen. Ziele beim Kugelstrahlen sind dabei insbesondere sichere und reproduzierbare Prozesse, um eine verlässliche Verfestigung und Einbringung von Druckeigenspannungen zu erzielen, die die Bauteillebensdauer bei dynamischer Belastung deutlich erhöht. Für die Zukunft ist die Simulation von Kugelstrahlprozessen ein interessanter Ansatz, um Entwicklungszeit zu reduzieren, Prozesse zu optimieren und Energie einzusparen. Um sich die fundamentalen Entwicklungsschritte der Strahltechnik vor dem Hintergrund der drei Phasen der Industrialisierung bis heute zu verdeutlichen, lohnt zunächst ein Blick in historische Aufzeichnungen.

 

Magnavalve, Electronic. Inc.
Abb. 3: Stellaktor und Durchflusssensor in einem Gerät: MagnaValve vom Hersteller Electronic Inc. und vertrieben durch sentenso (Bild: sentenso)

Von der Wasser- und Dampfkraft bis zur Elektrifizierung

Die erste industrielle Revolution ab etwa 1800 zeichnete sich durch die Einführung von Wasser- und Dampfkraft als Energieträger für Prozesse und Antriebe aus. Erst 1870 aber zeigte Benjamin Tilghman mit seinem ersten Sandstrahlgebläse, wie Dampf in einer Injektordüse zur Strahlmittelbeschleunigung genutzt werden kann, um Oberflächen mechanisch zu bearbeiten. Diese Strahlanwendungen konnten jedoch zu diesem Zeitpunkt prozesstechnisch keinesfalls stabil dargestellt werden. In der zweiten industriellen Revolution erlaubte die fortschreitende Elektrifizierung um das Jahr 1900 erstmals die Realisierung dezentraler Antriebe, die zur Erzeugung von Druckluft in Kompressoren genutzt wurde. Dies ermöglichte die Entwicklung wesentlich leistungsfähigerer strahltechnischer Anlagen, die stabile Prozesse überhaupt erst zuließen. In der Folgezeit konnten dann auch geschlossene Druckstrahlsysteme entwickelt werden, denen die heutige Bauart immer noch sehr ähnelt. Eine laufende Überwachung der Prozesse war allerdings kaum möglich.
Mit der dritten industriellen Revolution etwa ab dem Jahr 1970 hielten Elektronik und Steuerungstechnik Einzug auch in die Strahltechnik. Die elektronisch-sensorische Erfassung von Daten in Zusammenarbeit mit speicherprogrammierbaren Steuerungen (SPS) erlaubte die gezielte Steuerung und auch Regelung von Stellgrößen im Kugelstrahlprozess. Mit dem Aufkommen der Computertechnik und den immer kleiner und leistungsfähiger werdenden Prozessoren wurden die Regelungsmöglichkeiten weiter verbessert. Beispielsweise war die Einführung des MagnaValves zur elektromagnetischen Durchsatzverstellung und -regelung von Stahlstrahlmitteln ein Meilenstein in dieser Entwicklung. Bis heute wird jedoch an einem schlüssigen technischen Konzept zur vollständigen Erfassung der eigentlichen Prozess- und Qualitätsparameter gearbeitet.
Mit der nun angestoßenen vierten industriellen Revolution rücken mit der vollständigen Digitalisierung des Prozessmanagements sowie des parallel darzustellenden Qualitätsmanagements in Kugelstrahlmaschinen weitreichende Herausforderungen in den Vordergrund. Dabei entsteht eine Vielzahl von zu lösenden Aufgaben, wie einerseits die Entwicklung erweiterter sensorischer Technologien und andererseits die digitalisierte Abbildung der Zusammenhänge von Stellgrößen, den Maschinenparametern sowie Strahlkenngrößen, den Prozessparametern und den Prüfkenngrößen, also den Qualitätsparametern.

 

Stellgrößen beim Kugelstrahlen sentenso
Abb. 2: Stellgrößen beim Kugelstrahlen und ihr Einfluss auf die Strahlkenngrößen (Bild: sentenso)

Von der Maschinenebene bis zur Prozessebene

Die Stellgrößen auf der Maschinenebene sind entscheidend für die eigentlichen Strahlkenngrößen auf der Prozessebene (Abbildung 2). Da diese Prozessparameter nicht direkt einstellbar sind, müssen Impuls und kinetische Energie des mit der Druckluft beschleunigten Strahlmittels über die Maschinenparameter eingestellt werden. Damit hat die Kontrolle der Maschinenparameter eine entscheidende Bedeutung für einen stabilen Kugelstrahlprozess.
Die Strahlkonfiguration als räumliche Anordnung, also Abstand und Richtung, sowie zeitliche Zuordnung, die Bewegung von Strahldüse zu Werkstück beeinflusst im Wesentlichen den Prozessparameter Auftreffwinkel, indirekt auch die Aufprallgeschwindigkeit. Für komplexe Werkstücke werden daher häufig Roboter zur bahngeführten Bewegung der Strahldüse eingesetzt (Abbildung 1). Der Maschinenparameter Strahldruck beeinflusst die Korn- und damit die Aufprallgeschwindigkeit und damit einen zentralen Prozessparameter. Die Absicherung erfolgt mittels Druckregelung, bei Bedarf auch individuell für mehrere Strahldüsen. Die Volumenstromüberwachung dient der Erkennung möglicher Fehler- und Verschleißzustände des Strahlsystems, die die Kornbeschleunigung unbeabsichtigt beeinflussen können.
Der Strahlmitteldurchsatz durch die Strahldüse muss präzise geregelt werden, denn er bestimmt im Wesentlichen die Beaufschlagung und damit die Strahlmittelmenge pro Flächeneinheit. Zur Durchsatzverstellung und -messung kommen je nach Strahlmittelsorte verschiedene Aktoren und auf Strahlmittelsorte und Durchsatz zu justierende Sensoren zum Einsatz. Das MagnaValve vereinigt einen Stellaktor und einen Durchflusssensor in einem Gerät (Abbildung 3). Die Strahlzeit ist in der Regel so zu wählen, dass die zu bearbeitenden Oberflächen voll deckend bearbeitet werden.

 

Abb. 4: Dynamische Analyse der Korngröße von umlaufendem Strahlmittel (DYNA Instruments) (Bild: sentenso)
Korngeschwindigkeitsmessung
Mittels einer prozessnahen Korngeschwindigkeitsmessung kann eine zentrale Stellgröße für den Prozess abgesichert werden – hier mit Hochgeschwindigkeitskamera (Bild: Sentenso)

Direkte Überwachung von Prozesskenngrößen

Die Einhaltung und Regelung von Maschinenparametern entspricht dem allgemeinen Stand der Prozesstechnik und stellt technisch keine grundsätzliche Schwierigkeit bei der Digitalisierung dar, da alle genannten Stellgrößen physikalisch messbare Größen sind, die digital abbildbar sind.
Es wäre aber darüber hinaus sehr hilfreich, wenn die Prozessgrößen auch direkt überwacht und digital abgebildet werden könnten. Mit einer solchen direkten Abbildung wäre der digitale Zwilling des Prozesses nicht mehr nur ein Abbild der Maschineneinstellungen, sondern bereits ein Abbild des Kugelstrahlprozesses selbst. Die dazu erforderlichen Technologien sind bereits verfügbar, wenn auch noch in der Abstimmung für den serienmäßigen Einsatz.
Als wesentliche Prozesskenngröße sind hier zunächst die Strahlmitteleigenschaften Kornwerkstoff, Kornhärte, Korngröße, Kornform zu nennen. Während die beiden erstgenannten nur vor dem Befüllen der Strahlanlage sinnvoll zu prüfen sind, sind schon seit Jahren Messsysteme mit Kameras und Software verfügbar, die Körner im freien Fall dynamisch auf Größe und Form hin untersuchen. Noch interessanter werden solche Systeme, wenn sie das in der Strahlanlage umlaufende Medium ständig überwachen. Erste Lösungen zur permanenten Korngrößenüberwachung sind bereits am Markt (Abbildung 4).
Der Auftreffwinkel des Strahlmittels kann mit großer Prozesssicherheit überwacht werden, indem die Bewegungsbahnen eines Roboters zur Strahldüsenführung sowie die Bewegung des Werkstücks über die entsprechenden Antriebe permanent digital mitgeloggt werden. Für die direkte Bestimmung der Auftreffgeschwindigkeit bzw. der Korngeschwindigkeit in einem bestimmten Düsenabstand sind bereits mehrere Systeme auf dem Markt, die auf der Auswertung von Lasersignalen beruhen. Ein ungeschützter Einbau in Strahlanlagen ist nur bedingt möglich. Einen ganz anderen Ansatz bietet sentenso mit der Auswertung von anschaulichen Videobildern einer Hochgeschwindigkeitskamera an. Mit Hilfe der Auswertesoftware VelocityEasy wird die Strahlmittelbewegung detailliert sichtbar gemacht und ausgewertet (Abbildung 5). Mit dem zugehörigen vector:on Media Speed Management kann sich ein Strahlsystem über den Zusammenhang von Strahldruck und Korngeschwindigkeit völlig selbstständig auf den gewünschten Wert hin justieren und kalibrieren.
Die Strahlmitteldurchsatzregelung arbeitet auf Maschinenebene mit justierten und kalibrierten Sensoren und Regelsystemen. Das Problem dabei besteht in der dynamischen Änderung der Strahlmitteleigenschaften durch den Gebrauch sowie das Nachfüllen, die wiederum die Sensorwerte wesentlich beeinflussen und damit verfälschen können. Für die tatsächliche Beaufschlagung der Oberfläche ist neben der einfach zu überwachenden Strahlzeit die laufende Rekalibrierung der Durchsatzregelung sinnvoll. Sentenso bietet dazu mit dem flux:on Media Flow Management ein voll integriertes und automatisiertes Mess- und Regelsystem an, das auf einem in der Strahlkabine positionierten Strahlzyklon und einem außen liegenden Wägebehälter basiert. Damit kann durch ein automatisiertes Einführen der Strahldüse in den Zyklon der wahre Strahlmitteldurchsatz durch die Düse zur Kalibrierung jederzeit und beliebig oft erfasst und ausgewertet werden. Das System ist darüber hinaus in der Lage, sich bei zunehmender Abweichung von Soll- und Istwerten selbst zu rejustieren (Abbildung 6).
Die Einstellung und Regelung von Maschinenparametern ist für stabile Kugelstrahlprozesse hingegen weiterhin unabdingbar, da die permanente Prüfung der Prozesskenngrößen während des Prozessablaufs sehr aufwändig sein kann. ,
Eine weitere wichtige Rolle für die Prozessstabilität spielt darüber hinaus die regelmäßige und gewissenhafte Wartung der Strahlanlage, die durch Tools wie die Predictive Maintenance durch die Maschinensteuerung unterstützt werden kann.

 

Durchsatzüberwachung
Abb.6: Prozessnahe Durchsatzüberwachung mit flux:on Media Flow Management (Bild: sentenso)
Simulation Kugelstrahlen
Abb. 7: Darstellung von Kugelstrahlintensität und Deckungsgrad in der Simulation (Bild: sentenso)

Bestimmung von Qualitätskenngrößen auf Werkstückebene

Die mit dem Kugelstrahlprozess einzustellenden Qualitäts- und Oberflächenkenngrößen auf Werkstückebene wie Strahlintensität, Deckungsgrad und Eigenspannung sind ebenfalls sehr speziell und erfordern unterschiedliche Messtechniken von der einfachen subjektiv-visuellen Bewertung mittels Lupe bis hin zur komplexen Eigenspannungsanalyse mit Hilfe von Röntgendiffraktometern. Auch in diesem Bereich drängen zunehmend digitalisierte Messsysteme in den Markt. Ziele bei dem Einsatz sind die möglichst automatisierte, objektive und quantifizierbare Erfassung der Strahlwirkung auf die Oberfläche.

 

KI-basierte Erstellung von Maschinenparametern sentenso
Abb. 8: KI-basierte Erstellung von Maschinenparametern aus Qualitätsparametern (Bild: sentenso).

sentenso GmbH
www.sentenso.de

Weitere Informationen