Bereit für die Pressung
Die Pressmaschinen für die Schallplatten, die bei MY45 zum Einsatz kommen, stammen allesamt aus den siebziger Jahren. Es ist nach wie vor eine Herausforderung, an solche Maschinen zu kommen, dann als die großen Plattenlabels damals reihenweise Pleite gingen, wurden solche Maschinen zu Hauf als Altmetall entsorgt. Und die Maschinen, die auf die eine oder andere Weise die Zeiten seitdem überdauert haben, befinden sich meist in einem erbarmungwürdigen, heruntergewirtschafteten Zustand. Doch das ist den drei Pressen, die bei MY45 arbeiten, in keinster Weise anzusehen. Sie wirken eher fabrikneu. Kein Wunder, denn nachdem Sudau 2015 in das Unternehmen einstieg, investierte das Unternehmen zunächst 90 Prozent der Arbeitszeit nicht in das Pressen von Platten, sondern in die Instandsetzung und Überholung der Maschinen. Damals stieg die Mitarbeiterzahl auf einen Schlag von zwei auf zehn Leute. Eine vierte Presse wird gerade noch hergerichtet und geht Anfang 2021 in Betrieb. Eine der Pressen wurde sogar mit einer Simatic-Steuerung aufgerüstet und so digital transformiert. „Das hat gegenüber den altmodischen, damaligen Relaisschaltungen ganz erhebliche Vorteile“, schmunzelt Sudau. „Vor allem erkennt die Maschine durch zusätzliche Sensoren nun besser, wenn etwas nicht stimmt und kann dadurch eher mal für ein paar Minuten ohne Aufsicht gelassen werden.“
Die Druckplatten, auf denen die Stamper montiert sind, werden vor dem Pressvorgang durch Dampf erwärmt. Im hinteren Bereich der Presse befindet sich das Reservoir für das PVC Granulat – hier sind heutzutage fast beliebige Farben möglich, wobei bei einem klassisch schwarzen PVC der Stamper mit über 1500 Schallplatten deutlich länger hält als bei farbigem Kunststoff.
Ausgefeilte Choreographie
Vor Beginn des Pressvorgangs bringt eine Vorrichtung die Plattenlabel, die natürlich seitenrichtig eingelegt sein müssen, in die richtige Position. Der Extruder dosiert das PVC zwischen die Druckplatten. Die Formen schließen sich und an der Seite quillt nach einigen Sekunden langsam ein dünner Kunsstoffrand heraus. Unsichtbar für den Beobachter schaltet bald darauf die Wasserdampfheizung ab, stattdessen wird nun mit Wasser gekühlt. Ohne dass jemand die Platte in die Hand nehmen muss, wird der überflüssige Rand abgeschnitten und in einer weiteren Bewegung fällt die Platte sanft auf eine Spindel. Alle zehn Schallplatten legen die Mitarbeiter eine Kühlplatte dazwischen, um Verzug entgegenzuwirken. Frisch gepresste Schallplatten ruhen bei MY45 zwei Tage, bis sie verpackt und versandt werden dürfen.
Vom Film zum Presswerkzeug
Bevor eine Schallplatte gepresst werden kann, muss über mehrere Schritte aus der Tonaufnahme eine Pressform, der sogenannte Stamper, hergestellt werden. Der ist sehr hoch belastet, denn er muss in der Presse 110 Tonnen Druck und 140 Grad Celsius aushalten.
Nachdem der Mastercut fertig ist, beginnt der galvanische Teil. Die Tonaufnahme wird in drei Schwenkbädern vorbehandelt. Dieter lässt die schwarzen Tonträger vorsichtig und konzentriert in die Schalen gleiten. In der ersten befindet sich ein alkalischer Reiniger, RBS 35, für nicht korrosive Materialien, der spurenfrei abspülbar ist. Dann folgt Saponin als Klarspüler. Die Sensibilisierungslösung, ein Nickelfluorid-Salzsäure-Gemisch, bildet den Abschluss. Sie ist für die anschließende Versilberung kritisch und wird daher täglich neu angesetzt. Die Schwenkvorrichtung für die Wannen wurde selbst entwickelt. Zwischen jedem Bad kommen die Mastercuts auf eine Aufnahmevorrichtung in eine große Wanne und Dieter braust sie gründlich mit einer Gardenadusche ab – mit entsalztem Wasser. Es läuft kein Timer, aber die Spülzeiten wirken nahezu konstant. „Ich habe das mittlerweile im Gefühl“, grinst er. Spektakulär wird es bei der Versilberung. Dieter hängt die schwarze Scheibe in der Versilberungskabine auf einen rotierenden Teller. Dann nimmt er die etwas skurril aussehende zweidüsige Pistole und sprüht langsam vom Rand nach innen. Der Sprühnebel ist farblos, dann plötzlich nach wenigen Sekunden schlägt die Farbe des Mastercuts von außen nach innen um von schwarz auf silbrig glänzend. Nach dem Abspülen mit entsalztem Wasser hängt ein silbern glänzendes Schmuckstück in der Spritzkammer, das man sich auch problemlos als silberne Schallplatte an die Wand hängen könnte.
Das macht eine Platte so besonders
Der große Unterschied ist, dass die Bandbreite der Frequenzen einer Schallplatte größer ist, als bei digitalen Formaten. Je weiter ein Medium von einer Audio-CD in Richtung komprimierter Formate geht, desto mehr Töne gehen de facto verloren. Deshalb klingt eine hochwertige Schallplatte ganz anders und viel natürlicher als es eine CD oder zum Beispiel ein MP3-Format kann.
„Eigentlich ist es das Ziel eines jeden Tonträgers, die Wiedergabe so klingen zu lassen, wie es in der Wirklichkeit klingt. Doch das gelingt nur bei einem analogen Medium wie der Schallplatte richtig gut“, zeigt sich Sudau in seinem Element. „Bei der Digitalisierung gehen viele Zwischentöne verloren. Deshalb haben wir Kunden, vor allem im Jazz- und Klassikbereich, die auf einer komplett analogen Aufnahmekette bestehen. Es ist ein bisschen so, als würde man ein Ultra-HD-Fernsehbild mit einem mäßig aufgelösten Online-Video vergleichen. Man erkennt in beiden Fällen worum es geht – aber das sind alle Gemeinsamkeiten.“
Trotz Coronazeiten läuft die Produktion bei MY45 auf Volldampf, denn die Weihnachtszeit naht und die Schallplatte ist immer noch – oder wohl eher wieder – ein beliebtes Geschenk.