Unter den zweidimensionalen Festkörpern sticht Graphen mit seiner enormen elektrischen Leitfähigkeit heraus, allerdings ist es auch sehr zugfest. Diese extreme Zugfestigkeit ist ein Resultat der bienenwabenförmigen Anordnung der Atome im Material. Das Entfernen einiger Atome aus dem Material samt damit einhergehender Bindungen sollte intuitiv zu einer Verringerung dieser Zugfestigkeit führen, doch wissenschaftliche Studien zeigten sowohl eine kleine Verringerung als auch eine starke Erhöhung dieser, wie die Universität Wien mitteilt.
Graphen für Untersuchungen komplett isoliert
Diese Widersprüche konnten Forschende um Gruppenleiter Jani Kotakoski an der Universität Wien durch neue Messungen nun aufklären. Die Experimente fanden in luftleeren ultrasauberen Kammern statt, welche durch ebenfalls luftleere Metallröhren miteinander verbunden waren. Dadurch konnten die Proben von einem Gerät zum anderen gelangen, ohne jemals in Kontakt mit der Umgebungsluft zu kommen. „Dieses einzigartige System, das wir an der Universität Wien entwickelt haben, ermöglicht uns eine ungestörte Untersuchung von 2D-Materialien“, erläutert Kotakoski. Wael Joudi, Erstautor der Studie fügt hinzu: „Damit ist es uns erstmals gelungen das Graphen während dieser Art von Experimenten dauerhaft von der Umgebungsluft und den darin enthaltenen Fremdpartikeln zu isolieren. Andernfalls würden sich diese innerhalb kurzer Zeit auf der Oberfläche ablagern und sowohl die Versuchsdurchführung als auch die Messung beeinflussen.“
Tatsächlich führte der Fokus auf penible Sauberkeit der Materialoberfläche zur Entdeckung des so genannten Akkordeoneffekts bezüglich der mechanischen Zugfestigkeit von Graphen: Bereits die Entfernung von nur zwei benachbarten Atomen verursacht eine gewisse Wölbung des ursprünglich flachen Materials. Zusammen resultieren mehrere solcher Wölbungen in einer Wellung des Graphens: „Man kann sich das wie ein Akkordeon vorstellen. Beim Auseinanderziehen werden diese Wellen abgeflacht, was wesentlich weniger Kraft benötigt als das flache Material zu spannen, wodurch es schließlich dehnbarer wird“, berichtet Joudi. Rika Saskia Windisch und Florian Libisch, beide theoretische Physiker an der Technischen Universität Wien, haben mit Simulationen sowohl die Wellenbildung als auch die daraus resultierende geringere Zugfestigkeit des Materials bestätigen können.
Widersprüchliche Eigenschaften durch Störfaktoren erzeugt
Während der Experimente zeigte sich auch, dass Fremdpartikel auf der Materialoberfläche diesen Effekt nicht nur unterdrücken, sondern sogar eine gegenteilige Wirkung hervorrufen. Konkret erscheint das Material dadurch zugfester, was auch die Widersprüche in der Vergangenheit erklärt. „Damit zeigen wir die Wichtigkeit der Messumgebung im Umgang mit 2D-Materialien. Die Ergebnisse öffnen einen Weg zur Regulierung der Zugfestigkeit von Graphen und legen damit den Weg frei für potenzielle Anwendungen", erläutert Joudi abschließend. Dazu könnte zum Beispiel die Integration von Elektronik in Bekleidung gehören (wearable electronics).