KI verändert die Zukunft der Oberflächentechnik radikal

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In der Oberflächentechnik und der Automobilbranche ist die Künstliche Intelligenz unzweifelhaft stark im Kommen. Einen fundierten Einblick in aktuelle Projekte und die Entwicklungen der nächsten Jahre erhielten die Teilnehmer der DFO-Fachtagung „European Automotive & Plastics Coating“ in Mörfelden.

Wie eine KI-basierte Prozessplattform die Zusammenarbeit zwischen Automobilhersteller und -zulieferern in der Kunststofflackierung verbessern kann, zeigten Ralf Jostan und Sebastian Findeisen vom Werk Sindelfingen der Mercedes-Benz AG. Denn die hohen Ansprüche des Automobilproduzenten erfordern einen sehr komplexen Prozess in der Farbentwicklung, an deren Ende an unterschiedlichen Standorten und Linien lackierte Anbauteile zu den Farbnuancen der Karosserie passen.

„Um mit Digitalisierung und KI deutliche Effizienzpotenziale zu heben, haben wir uns daran gemacht, die Prozesswelt und die Datenwelt zusammenzuführen“, erläuterte Findeisen. Entstanden ist das Coating Intelligence System (CIS): Es besteht aus einer Plattform zum Datensammeln über Unternehmensgrenzen hinweg, die eine KI-Instanz auswertet. Das System verknüpft Material-, Qualitätsmanagement- und Prozessdaten so, dass die KI daraus optimierte Parameter entwickeln kann. „Wir starten beispielsweise mit einer neuen Farbe“, sagte Findeisen, „Das System erstellt eine erste Parameterberechnung, dabei lackieren wir und sammeln Daten. Diese Daten analysiert das CIS, lernt aus den Ergebnissen und gibt neue Parameter an die Lackierlinien der Lieferanten - und es beginnt eine neue Iteration.“

Die aktuelle KI-Herausforderung heißt Datenaustausch 

Wie KI die Zukunft der Autoserienlackierung beeinflusst, war Thema des Vortrags von Dr. Christoph Schulte von BASF Coatings in Münster. Aktuell befindet sich die Branche in einer Phase, in der es noch eine zentrale Herausforderung ist, Datentransparenz zu schaffen und sie für Prozessdigitalisierung, Predictive Maintenance oder generative KI einzusetzen. Für einen signifikanten Einfluss auf Qualität und Kosten müsste die KI jedoch noch deutlich weiterentwickelt werden – hin zu KI-getriebenen Diensten oder sogar zu autonomen Agenten. Doch das ist der zweite Schritt, die aktuellen Herausforderungen sind weitaus banaler: „Wir haben weltweit etwa 200 KI-Projekte bei BASF, und bei allen das gleiche Problem: Wie kommen wir an Daten?“, berichtete Schulte. Denn um eine KI zu trainieren, sind qualifizierte Daten in statistisch zuverlässig auswertbarer Zahl notwendig. Hierfür muss die Branche Methoden entwickeln, vorhandene Daten auszutauschen, im Idealfall auch über Unternehmensgrenzen hinaus, ohne dass für die Teilnehmer dieses Datenringes daraus Nachteile entstehen. Das ist eine wichtige Aufgabe für die kommenden Jahre.

Wie oben erwähnt ist das Sammeln von Daten wichtig, um den Nutzen von KI und Digitalisierung zu erweitern. Von daher gewinnen Daten aus der Spray-Überwachung immer mehr an Bedeutung. So berichteten Dr. Meiko Hecker, Geschäftsführer von AOM-Systems in Heppenheim, und Dr. Oliver Tiedje vom Fraunhofer-Institut für Produktionstechnik und Automatisierung (IPA) in Stuttgart über die Anwendung von KI für die Fehleranalyse und Fehlerbestimmung im Spray.

Sprühstrahl-Überwachung verbessert Lackapplikation

AOM-Systems hat in den letzten Jahren ein zuverlässiges Messgerät zur Identifizierung von Tropfen und deren Eigenschaften im Applikationsspray entwickelt, das inzwischen zum Beispiel für eine konintuierliche Spray-Kontrolle im laufenden Lackierprozess erheblich miniaturisiert wurde. Der sogenannte Sprayspy analysiert den Sprühstrahl in Hinblick auf Tropfengröße, -viskosität und -geschwindigkeit. Während der Applikation kann also der Volumenfluss ermittelt und die zu erwartende Schichtdicke errechnet werden. In einem Projekt am Fraunhofer-IPA hat Tiedje mit seinem Team überprüft, wie man das Gerät in die Prozessüberwachung einbauen kann und wie die Daten entlang der Prozesskette weitergegeben weden können.

Dazu haben die IPA-Forscher bewusst Defekte eingebracht, wie Prozessabweichungen, verschlissene Ausrüstung oder Lackmaterial mit anderen Eigenschaften. Anschließend haben sie die Parameter-Kennwerte des Sprayspy ausgewertet und die Qualitätsabweichungen bei Schichtdicke, Farbton oder Wellen dokumentiert.

„Bei den meisten Kennwerten wurden über 90 Prozent der Fehler erkannt. Der Anteil der falsch berichteten Fehler lag unter 10 Prozent“, erläuterte Tiedje. In einem weiteren Schritt haben die Forscher noch Prozessdaten aus der Linie dazugenommen und dafür ein Verhaltensmodell aufgesetzt. Ergebnis war ein Modell, um komplexe Zeitreihen zu analysieren. „Es ist wichtig, die Werte nicht nur zu jedem Zeitpunkt zu betrachten, sondern auch die Historie dazu. Wenn ich zum Beispiel die Hauptnadel des Zerstäubers öffne, variiert die Lackmenge noch eine gewisse Zeit“, sagte Tiedje.

KI-Projekt zur Konfiguration von Roboterzellen neu gestartet

Einblick in ein kürzlich gestartetes Forschungsprojekt einer KI-Entwicklung zur Konfiguration von Roboterzellen gab Dr. Pavel Svejda von Dürr Systems in Bietigheim-Bissingen. Es gehört zum Verbundprojekt „Digitales Ökosystem für KI-basierte Robotik“ (RoX). Das Teilvorhaben befasst sich mit der Inbetriebnahme und der Optimierung von Bahnprozessen in statischen Multi-Robotersystemen. „Unter anderem die Systemintegration und die Inbetriebnahmen sollen durch den Einsatz von KI auf ein neues Niveau gehoben werden“, berichtete Svejda.

Gestartet im dritten Quartal des vergangenen Jahres, umfasst das Projekt 24 Projektpartner, elf assoziierte Partner, fünf assoziierte Projekte und Initiativen sowie drei europäische Partner. Als Laufzeit sind 30 Monate vorgesehen, die Projektkoordination hat ABB übernommen, unterstützt durch Siemens, das DLR und die Fraunhofer-Gesellschaft. Dürr beteiligt sich im Teilprojekt 3, Usecase 4 „KI für Roboterinbetriebnahmen“. Dabei geht es um die KI-Unterstüzung von Konzept beziehungsweise Layout, Sicherheitskonzept, Roboterbahnprogrammierung Parametrierung der Applikation und SPS-Programmierung.

Ein KI-basiertes System zur automatischen Oberflächeninspektion von Hochglanz-Kunststoffteilen stellte Manuel Haß von Dataspree in Berlin vor. „Bisher ist diese Inspektion hauptsächlich ein manueller Prozess“, sagte er. Gerade bei kleineren Teilen mit hohen Taktzeiten ist es schwierig, diese Aufgabe zuverlässig zu automatisieren. Bestehende Systeme haben ihre Schwächen: So bietet die Deflektometrie zwar eine hohe Messgenauigkeit, allerdings ist sie bei Formteilen nur beschränkt nutzbar, benötigt einen Stop-and-Go-Prozess mit langen Prüfzeiten und hat bei diversen Defekttypen und Oberflächeneigenschaften ihre Einschränkungen. Shape from Shading bietet eine hohe Messgenauigkeit bei ebenen Oberflächen und ist auch bei matten Farben einsetzbar. Dafür müssen Anwender Limitierungen bei nicht-ebenen Oberflächen in Kauf nehmen. Außerdem erfordert sie wie die Deflektometrie einen Stop-and-Go-Prozess und eignet sich ebenfalls nicht für alle Defekttypen und Oberflächeneigenschaften. Die regelbasierte Bildverarbeitung ist mit Softwarebibliotheken und der richtigen Bildgebung schnell umsetzbar. Allerdings scheitern regelbasierte Algorithmen oft an der Komplexität - die Vielseitigkeit von Oberflächeneigenschaften und -defekten kann dieses Verfahren nicht abbilden.

KI unterstützt bei Oberflächeninspektion

Die KI-basierte Oberflächenanalyse hingegen lässt sich auch auf nicht-ebenen Oberflächen nutzen und bildet die Vielseitigkeit von Oberflächeneigenschaften und -defekten ab. Weitere Vorteile sind sehr kurze Aufnahme- und Prüfzeiten, eine hohe Detektionsgenauigkeit und eine flexible Erweiterung der Funktionen mittels KI-Training. Ein Nachteil ist bisher die relativ geringe Messgenauigkeit bei der Größenbestimmung von Defekten.

Einen ausführlicheren Bericht über diese KI-Entwicklungen lesen Sie in der Ausgabe 8/9-2025 der MO, die am 1. September erscheint.

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