Industriestandort Deutschland am Wendepunkt – Hoffnungsträger oder riskantes Spiel mit der Zukunft?

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Die neue Bundesregierung verspricht Entlastung und Fortschritt für die Industrie. Doch wie tragfähig sind die Signale aus Berlin wirklich? Zwischen sinkender Wirtschaftskraft, gestiegener Hoffnung und strukturellen Defiziten analysieren wir, was jetzt auf dem Spiel steht – und wie Betriebe der Oberflächenbranche darauf reagieren können.

Zwischen Krisenmodus und Aufbruchsstimmung

Mit der höchsten Wahlbeteiligung seit der Wiedervereinigung hat Deutschland ein deutliches Signal gesendet: Es braucht Veränderungen. CDU/CSU und SPD bilden die neue Bundesregierung und wollen mit einem ambitionierten Koalitionsvertrag neue Impulse für die Industrie setzen. Erste Signale wie die Absenkung der Stromsteuer auf das EU-Minimum, das klare Bekenntnis zur Chemie- und Industriekompetenz Deutschlands sowie das geplante Ausbleiben pauschaler Stoffverbote (etwa bei PFAS) wirken auf den ersten Blick wie ein Aufbruch. Auch der ZVO bewertet viele dieser Punkte positiv.

„Es gibt einige gute Ansätze, die einen Blick auf die versprochene Politikwende erahnen lassen“, kommentiert ZVO-Hauptgeschäftsführer Christoph Matheis – doch schränkt zugleich ein: „Die politischen Entwicklungen geben Anlass zur Hoffnung – aber...“

Wirtschaft in der Delle – Konsolidierung statt Aufbruch?

Denn die wirtschaftliche Realität 2024 zeichnet ein anderes Bild: Der Fachbereich Chemie und Anlagen im ZVO musste einen Umsatzrückgang von 11 % hinnehmen. Noch härter traf es die industriellen Beschichter mit einem Minus von 12,5 %. Ursachen: Investitionsstopps, unausgelastete Großanlagen und hohe Fixkosten. Immer mehr Unternehmen setzen stattdessen auf gezielte Effizienzsteigerung – wenn überhaupt. Großinvestitionen bleiben aus.

Selbst bei leichter Entspannung bei den Energiekosten bleiben die Netzentgelte ein dauerhafter Belastungsfaktor. Vor allem: Der Rückgang an Umbauprojekten (-34 %) lässt auf ein strukturelles Investitionsproblem schließen.

Stimmung in der Branche: Vorsichtiger Realismus statt Euphorie

Die ZVO-Mitgliederumfrage zeigt eine gespaltene Stimmung:

  • 41 % beurteilten ihre Lage als „zufriedenstellend“
  • 36 % als „schlecht“
  • nur 12 % als „gut“

Für 2025 erwarten lediglich 24 % der Unternehmen eine Verbesserung – die meisten rechnen mit Stagnation oder weiterer Verschlechterung. Dennoch: Ein massiver weiterer Absturz wird nicht prognostiziert. Es dominiert ein zähes Durchhalten.

Marktbeispiel Automobilindustrie – globaler Gegenwind, selektive Chancen

Ein zentrales Marktsegment der Oberflächentechnik – die Automobilindustrie – bleibt volatil. Während die Nachfrage in Europa weiter schwächelt, zeigen die Prognosen für Asien moderate Zuwächse. Für 2026 wird ein weltweiter Output von rund 92 Millionen Pkw (light vehicles) erwartet – das liegt über dem Niveau der letzten beiden Jahre, bleibt aber hinter früheren Boomjahren zurück.

ZVO zieht Bilanz: Lob für Signalpolitik – Kritik an fehlenden Strukturanreizen

Der ZVO begrüßt die angekündigten Entlastungen:

  • Strompreisreduktion durch Senkung der Stromsteuer
  • flexible Sektorenkopplung
  • REACH-Überarbeitung mit risikobasierter Ausrichtung
  • keine pauschalen Stoffverbote

Doch gleichzeitig bleibt die Kritik deutlich: Echte Strukturreformen bei Steuern, Bürokratie und Sozialpolitik fehlen. Der ZVO fordert eine „Politik der Taten“, nicht nur des Ankündigens. Vor allem müsse der Koalitionsvertrag als Richtungsentscheidung für eine international wettbewerbsfähige Industriepolitik verstanden werden – sonst droht langfristig ein Verlust an Substanz.

Fachkräftelage: Kein Engpass, aber auch kein Rückenwind

Erstaunlich stabil zeigt sich 2024 die Lage auf dem Arbeitsmarkt: Der ZVO verzeichnet aktuell keinen akuten Fachkräftemangel. Auch Zeitarbeitskräfte sind wieder verfügbar – wenn auch seltener eingesetzt. Das schafft zumindest operativ Spielräume, um bestehende Kapazitäten aufrechtzuerhalten.

Fazit: Zwischen Hoffnung und Pflicht

Die Oberflächentechnik steht unter hohem Transformationsdruck – wirtschaftlich, regulatorisch und technologisch. Die neue Bundesregierung liefert erste Hoffnungssignale, doch die strukturellen Hürden bleiben. Ohne mehr politische Konsequenz, verlässliche Rahmenbedingungen und gezielte Förderung riskieren viele Unternehmen, den Anschluss zu verlieren.

Die Branche braucht keine wohlklingenden Überschriften – sie braucht verlässliche Energie, klare Steueranreize und eine pragmatische Industriepolitik. Denn Zukunft braucht Energie – und Zukunft braucht Planungssicherheit.

 

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