Risiken und Nebenwirkungen von Desinfektionsmitteln

Die Pandemie führte zu vermehrtem Einsatz von Desinfektionsmitteln – zum Teil mit Folgeschäden

Schaden an Stahlrohr
Parallel zur Verwendung von Desinfektionsmitteln ist auch die Anzahl der durch sie verursachten Fehlerbilder in den letzten Jahren angestiegen (Bild: DFO)

Im Laufe der letzten Jahre gab es auch bei der Schadensanalytik von Beschichtungsfehlern neue Herausforderungen und Eigenheiten. So traten vermehrt Fehlerbilder auf, die auf die zunehmende Nutzung von Desinfektionsmitteln zurückzuführen waren.

Die durch vermehrten Einsatz von Desinfektionsmitteln enstandenen Fehlerbilder, die im Lauf der Pandemie zu beobachten waren, betrafen meist korrosionsbeschleunigende Effekte aufgrund chlorhaltiger Desinfektionsmittel - die zum Beispiel natriumhypochlorithaltig sein können - oder Anlöseeffekte bei chemisch nicht ausreichend beständigen Beschichtungen.
Die Erkenntnis, dass Desinfektionsmittel derartige Schadensbilder bewirken können, stieß zu Beginn der Pandemie bei vielen Kunden der DFO auf Erstaunen, führte jedoch im Laufe der Folgezeit in manchen Fällen zu einem übereilten Generalverdacht bei vergleichbaren Fehlerbildern. Ohne analytische Beweise ist dies jedoch gefährlich, da mit dieser Annahme meist der Kunde oder Endanwender unter Verdacht gestellt wird, entsprechende Oberflächen unsachgemäß behandelt zu haben. Im folgenden Schadensfall kam es zu einer solchen Fehlannahme, die jedoch durch eine schnelle Schadensanalyse durch die DFO korrigiert werden konnte.

Bei galvanisch verchromten Stahlrohren kam es zu Fleckenbildung, die zeitversetzt auftrat und erst bei der Endmontage bemerkt wurde (siehe Abbildung 1). Bei der Ursachensuche wurde zunächst ein Desinfektionsmittel verdächtigt, das nachweislich durch die Personen verwendet worden war, die mit den Stahlrohren in Kontakt kamen. Es wurde angenommen, dass dieses natriumhypochlorithaltig war, wodurch ein korrosiver Angriff auf die Verchromung stattgefunden habe.

Korrosionsrückstände
Abb. 2: Per REM-Bild und EDX-Analyse der Korrosionsrückstände wurde auch korrosionsförderndes Chlor (Cl) detektiert (Bild: DFO)

Vorsicht vor dem Verallgemeinerungsfehler

Die DFO wurde schließlich damit beauftragt, diese Annahme analytisch zu überprüfen. Hierzu wurde ein Teilausschnitts eines betroffenen verchromten Stahlrohrs zur Verfügung gestellt. Per Lichtmikroskopie und Rasterelektronenmikroskopie (REM) waren die Flecken eindeutig als korrosive Schäden einzuordnen. Tatsächlich konnten mittels energiedispersiver Röntgenspektroskopie (EDX) neben den zu erwartenden Elementen Chrom (Cr) und Nickel (Ni) der galvanischen Verchromung (Nickelschicht plus Chromschicht) zusätzlich signifikante Mengen an Chlor (Cl) im Fehlerbereich detektiert werden (siehe Abbildung. 2). Chlor beziehungsweise chlorhaltige Verbindungen können in Kombination mit Feuchtigkeit verchromte Bauteile beschleunigt korrodieren lassen.

Was jedoch nicht zur Theorie des natriumhypochlorithaltigen Desinfektionsmittels als Fehlerursache passte, war das vollständige Fehlen von Natrium im Fehlerbereich. Daher vermutete die DFO eine andere Ursache. Nach einer Begutachtung des gesamten Herstellprozesses und auch der betroffenen Rohre vor Ort war gleich eine Auffälligkeit festzustellen: Die Fehlerbereiche waren bei allen Fehlerteilen an den exakt gleichen Stellen. Damit war es sehr unwahrscheinlich, dass das Fehlerbild durch zufällige Kontamination mit Desinfektionsmitteln durch manuelle Handhabung entstanden war. Stattdessen wurde das Augenmerk auf die Transportsicherungen der verchromten Rohre gelenkt. Zur Vermeidung von Verkratzungen waren in den Transporthalterungen weiche Einlagen aus „Gummi“ eingesetzt. Die Kontaktstellen dieser Kunststoffeinlagen mit den Rohren stimmten exakt mit den Fehlerbereichen überein (siehe Abbildung 3).

Kontaktstellen Kunststoffeinlage
Abb. 3: Die Kontaktstellen der Kunststoffeinlagen mit den Rohren stimmten exakt mit den Fehlerbereichen überein (Bild: DFO)

Weichmacher können Salzsäure freisetzen

Mittels Infrarotspektroskopie konnte der Kunststoff als Polyurethan identifiziert werden. Polyurethan ist keine chlorhaltige Verbindung, dennoch konnten mittels EDX neben den Elementen Kohlenstoff (C) und Sauerstoff (O) des Polyurethans, Silizium (Si) und Aluminium (Al) der im Kunststoff enthaltenen Füllstoffe und Zinn (Sn) eines zinnorganischen Katalysators (z.B. Dibutylzinndilaurat (DBTL)) auch Chlor (Cl) innerhalb dieser Kunststoffeinlagen detektiert werden (siehe Abbildung 4). Der Grund dafür waren im Polyurethan enthaltene Clorparaffine, also organische Chlorverbindungen, die als Weichmacher hinzugesetzt wurden. Organische Chlorverbindungen können geringe Mengen an Hydrogenchlorid – also  Salzsäure – abspalten. Die Salzsäure greift das Chrom chemisch an, was zu den beobachteten korrosiven Schäden führt.  

Zusätzlich wurde analytisch nachgewiesen, dass das verdächtigte Desinfektionsmittel gar keine chlorhaltigen Verbindungen enthielt. Die Empfehlung der DFO war folglich, die verwendeten Kunststoffeinlagen durch weichmacherfreie Kunststoffeinlagen zu ersetzen, um das Fehlerbild zukünftig zu vermeiden.

Cl-Verbindungen
Abb. 4: Mittels REM- und EDX-Analyse der Kunststoffeinlagen wurden Cl-Verbindungen gefunden, die Salzsäure abspalten können (Bild: DFO)

Fehlerbild des Monats

In dieser Rubrik berichtet die Deutsche Forschungsgesellschaft für Oberflächenbehandlung (DFO) e.V. über aktuelle Schadensfälle aus der Praxis, die von der DFO aufgeklärt wurden. Ziel ist es, Anregungen zu geben, wie Fehlerbilder interpretiert werden können und welche Ursachen für außergewöhnliche Beschichtungsfehler infrage kommen.

Deutsche Forschungsgesellschaft für Oberflächenbehandlung (DFO) e.V., Neuss
www.dfo-service.de