Die Zukunft der technischen Reinigung

Auf Neues reagieren statt an Altem festzuhalten: Gerhard Koblenzer zu Perspektiven der technischen Reinigung

Reinraum bei LPW, Spezialist für technische Reinigung
Sauberkeitsforderungen, die Reinräume notwendig machen, begleiten den Strukturwandel. Hier ein Blick in den TDZ-Reinraum von LPW (Bild: LPW)

In der Reinigungsbranche hat sich in jüngerer Zeit viel getan – nicht nur sind Reinheitsanforderungen in vielen Bereichen gestiegen, auch die Reproduzierbarkeit der Ergebnisse, zeitgemäße Arbeiterqualifizierung und das veränderte Bild des Anlagenbauers als Allround-Supporter bringen neue Herausforderungen mit sich.

Herausforderungen der Branche

Herr Koblenzer, wie stellen sich die aktuellen Herausforderungen der Branche dar?

Der Markt hat sich in den vergangenen vier Jahren rasant verändert und die neuen Herausforderungen stellen sich vielschichtig dar. Zum einen sind nach wie vor strukturelle Anpassungsprozesse zu vollziehen – in den Köpfen und Unternehmensabläufen.

Hinzu kommt, dass Komponenten- und Chemiepartner lernen müssen, dass ihre Produkte in puncto Beständigkeit und Einflüsse auf das Reinigungsergebnis geprüft werden. Des Weiteren spielt die zunehmende Internationalisierung eine immer größere Rolle und damit einhergehend politische sowie wirtschaftliche Instabilitäten.

Aktuelles Beispiel ist die Situation zwischen Taiwan und China, die unmittelbar Konsequenzen auf die Investitionspläne wichtiger Halbleiterfirmen hat und somit eine komplette Zuliefererindustrie hemmt. Zudem trägt der früher sehr wichtige chinesische Markt nicht mehr so stark.

Spürbare Veränderungen

Was hat sich konkret zum „Altbewährten und Gewohnten“ verändert?

In vielen Industriebereichen haben sich die Anforderungen an das Level der Technischen Sauberkeit in der Prozesskette und in Folge an den spezifischen Sauberkeitsgrad nach der Reinigung verändert. Dementsprechend fallen Themen wie etwa Kreuz- und Rekontamination deutlich stärker ins Gewicht und haben wiederum Auswirkungen auf zum Beispiel die einzusetzenden Materialien oder die Qualität der Medien.

Darüber hinaus ist die zeitgemäße Qualifizierung aller Mitarbeitenden ein sehr wichtiger Faktor. Denn wer auf Grundlage des „Alten“ denkt und handelt, der scheitert.

Anpassungen auf Dauer unausweichlich

Wie sollten Anlagenhersteller mit diesen neuen Faktoren umgehen?

Strukturelle sowie organisatorische Anpassungen im Unternehmen und der Aufbau neuer Fähigkeiten, wie etwa Lohnreinigung, Analytik sowie Applikationsengineering, sind auf Dauer unausweichlich. Zwar bleibt ein Anlagenhersteller weiter ein Hersteller – doch der Weg zur Anlagen-Auslieferung hat sich komplett verändert.

Inzwischen erarbeitet der Vertrieb, möglichst gemeinsam mit dem Kunden, einen funktionierenden und validierbaren Gesamtprozess. Dieser ist über realitätsnahe Versuche und Machbarkeitsprüfungen bewertet und nachgewiesen. Die „Belohnung“ dieser Vorarbeit stellt sich dann im besten Falle mit einer Anlagenbestellung dar. Und erst dann beginnt der klassische Anlagenbau.

Gerhard Koblenzer, LPW, Spezialist für technische Reinigung
Gerhard Koblenzer, geschäftsführender Gesellschafter der LPW Reinigungssysteme GmbH Seit 2007 geschäftsführender Gesellschafter der LPW Reinigungssysteme GmbH mit derzeit 82 Mitarbeitern. Unter seiner Führung wuchs das Unternehmen stetig und erweiterte die Expertise im Bereich der industriellen Teilereinigung mit wässrigen Medien. Seit 2010 befindet sich die Präzisionsreinigungssparte sehr erfolgreich im Auf- und Ausbau. Koblenzer ist im Vorstand des FiT für den Bereich internationale Kooperationen verantwortlich (Bild: LPW).

Strukturwandel bereits angestoßen

Wie zeigen sich die neuen Aufgaben und Anforderungen bei LPW und wie gehen Sie damit unternehmerisch um?

Wir haben unseren internen Strukturwandel bereits 2015 angestoßen und zunächst wesentliche Kundensegmente herausgenommen, um freie Ressourcen für die nötigen Anpassungen zu haben. Dem vorangegangen sind Workshops und Strategiemeetings zur Bewertung der Branchen und Märkte bezüglich deren mittel- sowie langfristigen Veränderungstrends.

In der Folge hat LPW beispielsweise den Automotive- Umsatzanteil von 70 bis 80 % bei gleichzeitiger Umsatzsteigerung auf 10 bis 20 % gesenkt. Auch die Infrastruktur haben wir angepackt. So fiel 2018 die Entscheidung zum Aufbau unseres reinraumgebundenen Test- und Dienstleistungszentrums auf einem zugekauften Nachbarareal.

Außerdem haben wir den neuen Geschäftsbereich Applikationsengineering aufgebaut. Ein intensiver Prozess. Doch er hat sich gelohnt. So sind wir für die aktuellen und auch zukünftigen Aufgaben Stand heute bestens gerüstet.

Umfassend ausgestattetes Testcenter

Was ist im wiedereröffneten LPW Test- und Dienstleistungszentrum neu, anders, besser, wie profitieren die Kunden davon?

Der Neuaufbau war ja nicht ganz freiwillig. Nach einem lokalen Brand mussten wir das gesamte Inventar, vom Mikroskop bis zum Reinraum, neu beschaffen. Doch: Gibt das Leben dir Zitronen, mach‘ Limonade draus. Wir haben die Chance genutzt und neben der Versicherungssumme noch eigenes Geld in die Hand genommen, um unter anderem unseren Reinraum zu verbessern, mehr Laborfläche zu schaffen und Versuchsmöglichkeiten sowie das Monitoring zu erweitern.

Des Weiteren verfügen wir nun über eine selbstentwickelte Reinstwasser-Versorgung. So profitieren unsere Kunden neben der modernen Ausstattung von unserer über 15-jährigen Erfahrung mit hochsauberen Prozessen, die im Setting des TDZ bestens umgesetzt werden kann und darüber hinaus auch Neu- und Weiterentwicklung von Lösungsansätzen für aktuelle und kommende Aufgaben erlaubt. Und davon gibt es jede Menge.

Ständiger Prozess der Veränderung

Wie muss sich die Branche zukunftsfähig aufstellen? Ist diesbezüglich die deutsche Messelandschaft momentan up to date?

Wir erleben einen ständigen Prozess der Veränderung, der sich zumindest in den kommenden Jahren an immer neue Anforderungen in einer Vielzahl von Branchen anpassen muss. High Purity ist das beste Beispiel. Manche bezeichnen High Purity als den Mount Everest der industriellen Reinigungstechnik. Dieser Vergleich impliziert, dass man ein festes und messbares Ziel in Form eines Gipfels vor Augen hat. Doch das ist ein Irrtum.

Die Branche hat in den vergangenen 15 Jahren viele vermeintliche "Gipfel" erreicht, nur um festzustellen, dass sich dahinter ein neuer und höherer Gipfel verbirgt. Dieser Dynamik muss sich natürlich auch die deutsche Messelandschaft stellen. Und nein, sie ist diesbezüglich, auch in puncto Internationalisierung, nicht ganz up to date.

Gerade unsere langjährige Leitmesse parts2clean sollte Lösungen für die hochsauberen Prozessketten, also nicht allein für die industrielle Reinigungstechnik, aufzeigen und durch attraktive Formate in Verbindung mit der Darstellung des weltweit geschätzten deutschen Know-hows auch nordamerikanische oder asiatische Besucher gewinnen.

Potenzial für europäische Unternehmen

Die USA haben sich zu einem interessanten Markt entwickelt. Ein Trend, der die gesamte Branche betrifft?

Noch sind deutsche Unternehmen mit ihrem spezifischen Wissen und technologisch hochwertigen Produkten weltweit führend. Das wird in den USA sehr geschätzt und birgt für unsere Branche viele Chancen. Außerdem fördert der Inflation Reduction Act die US-Industrie spürbar, was sich auch in den direkten Nachbarländern auswirkt.

Das bietet Potenzial für europäische Unternehmen ohne gleichwertigen Wettbewerb vor Ort. Also ja, aktuell kommen wir an diesem Markt nicht vorbei und wären auch schlecht beraten die Möglichkeit, unsere deutsche Expertise darzustellen, nicht zu nutzen.

Kooperationen und Allianzen bleiben wichtig

Früher war China ein lukrativer Markt. Inzwischen nicht mehr so. Wie ist diese Situation einzuschätzen?

China bleibt weiterhin ein starker Markt und potenzieller Abnehmer. Allerdings wirken sich die wirtschaftlichen Probleme auf uns aus. Zudem ist der Zugang nach der Coronakrise schwerer geworden. Im High-Tech-Segment ist China allerdings ein sehr schwieriger Markt aufgrund der Führungskultur. Hochsaubere Prozessketten erfordern ein hohes Maß an Prozessverständnis sowie eine kontinuierliche Prozessoptimierung.

Doch die Umsetzung dieser Kriterien ist nahezu unmöglich, da konstruktive Kritik in der Sache oft als Kritik an der Führungsentscheidung missverstanden wird. Davon abgesehen sind europäische und nordamerikanische High Tech-Kunden nicht wirklich erfreut, wenn High-Purity-Fähigkeiten aktuell nach China getragen werden.

Arbeit mit Verbänden ist essentiell

Komplexität und Konkurrenzdruck nehmen zu. Welche Zukunftsaussichten haben die kleinen Anlagenbauer?

Kooperationen und Allianzen sind immer wertvoll, um fortbestehen zu können Wir als Mitglied der Surface Alliance praktizieren das seit bald 25 Jahren mit großem Erfolg. Die mittelständische Struktur erlaubt ein hochflexibles Handeln, die Allianz gibt die Kraft für größere Aufgaben und die weltweite Präsenz. Auch bei Entwicklungsprojekten ist das häufig der entscheidende Hebel.

Eine andere Art der Kooperation ist die Zusammenarbeit in Verbänden. Gerade der weltweit einzigartige Fachverband für industrielle Teilereinigung FiT ist dafür ein herausragendes Beispiel. Durch die Kompetenzbündelung bei grundlegenden Themen wird die gesamte Branche gestärkt, was sie insgesamt auch widerstandfähiger macht.

LPW Reinigungssysteme GmbH
www.lpw-cleaning.com

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