Wandel ist nicht aufzuhalten

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Wir befinden uns in der Mobilitätswende – kein Zweifel. Eine Wende bezeichnet beim Segeln einen Richtungswechsel, bei dem der Bug durch den Wind dreht. Dabei verliert ein Segelschiff seinen Vortrieb und wird vom Wind aktiv gebremst. Reicht der Schwung nicht aus, bleibt es in der Wende stecken, es wird unsteuerbar und vom Wind abgetrieben, bis es gelingt, wieder Fahrt aufzunehmen. Viele Unternehmen rund um die Automobilindustrie müssen derzeit eine Wende vollziehen.

EU-Regularien, politische Dogmen und die Frage: Verbrenner-Aus – ja oder vielleicht doch nicht – die Windrichtung ist alles andere als konstant. Da erscheinen die Automobilkonzerne wie stolze Segelschiffe, die auf eine Leeküste zusteuern und mit einer gewagten Wende versuchen müssen, das rettende offene Meer zu erreichen.

Auch die IAA steckt in einem Wendemanöver. Früher war sie der Heilige Gral, eine Pilgerstätte für Automobilisten. In den Messehallen in Riem war heuer wenig von dem Glamour vergangener Jahre zu spüren, die großen OEMs präsentierten sich geradezu bescheiden, während einige chinesische Anbieter beachtliches Engagement aufboten. Inwieweit das Konzept der Open Spaces für eine Messe ein tragbares Zukunftskonzept ist, sei dahingestellt. Die Dynamik auf dem Messegelände in Riem war jedenfalls gebremst und erinnerte mehr an eine B2B-Messe zum Thema Elektromobilität und Batterie denn an eine leidenschaftliche Publikumsmesse zum Thema Automobil. Nachdenklich macht außerdem, dass die Zulieferindustrie sehr leistungsfähige und kompakte Elektromotoren anbietet, aber bisher deutsche OEMs sich nicht dafür interessieren. Man möchte sich lieber durch eigene Motoren profilieren – wie zu Verbrennerzeiten. Angesichts der Stärke der chinesischen Mitbewerber stellt sich die Frage, ob sich die deutschen OEMs bewusst sind, dass der Ruhm aus Verbrennerzeiten bei den Kunden nur zu schnell verblassen wird, wenn Leistungsfähigkeit und Preis nicht wettbewerbsfähig sind. Pragmatismus hilft nicht, Elektrofahrzeuge zu verkaufen, das haben wir schon gesehen.

Was bedeutet die Mobilitätswende für die Oberflächenbranche? Nicht nur die Geschmäcker der Kunden befinden sich im Wandel, auch die EU-Regularien werden in den nächsten Jahren immer mehr Wirkung entfalten. Unter diesem Gesichtspunkt könnte die von BMW auf der IAA vorgestellte „Vision Neue Klasse“ einen nicht unrealistischen Blick in die Zukunft darstellen. Dekorativen Chrom sucht man vergeblich, Elemente wie die Frontschürze, die Schweller und der Diffusor am Heck glänzen mit einem durchaus stimmigen Look von recyceltem Kunststoff. Im Innenraum gibt es weder ein klassisches Cockpit noch Tasten. Wer die Vision von BMW lange genug auf sich wirken lässt, kann durchaus zu dem Schluss kommen, vom Design her das derzeit zukunftsgerechteste Fahrzeug vor sich zu haben. Sofern diese Vision kein avantgardistischer Entwurf bleibt, sondern Schule macht, stehen wir möglicherweise vor einer Designwende, die das, was die OEMs künftig bei ihren Zulieferern einkaufen werden, radikal verändern könnte.

Es bleibt nur, Veränderungen und Trends früh zu erkennen und technologieoffen auf die Bedarfe der Zukunft zuzugehen – bevor die Leeküste zu nahe ist. In diesem Zusammenhang haben in der Oktober-Ausgabe der mo viele aktuelle Themen zusammengetragen, von neuen Trends bezüglich der Automobilfarbtöne (Seite 14) über das Comeback eines renommierten Lackieranlagenbauers (Seite 20) bis hin zu dem aktuellen Stand der chromsäurefreien Vorbehandlung in der Kunststoffgalvanik (Seite 28) oder der Laserbeschichtung von Bremsscheiben zur Feinstaubreduktion (Seite 34).

 

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