Frühzeitig eingreifen statt nacharbeiten

Mittels strukturellem Fingerabdruck Aufwand minimieren und Beschichtungsqualität erhöhen

Abbildung 1: Das SurfSpec kann mit Vakuumfüßen auch an senkrechten Flächen eingesetzt werden, die Messung erfolgt in maximal 30 Sekunden (Bild: Soliton)

Ein struktureller Fingerabdruck einer Beschichtung durch ein tragbares Interferometrie-Messsystem erlaubt die detaillierte Analyse von mehrstufigen Beschichtungsprozessen – vom Substrat bis zum Klarlack. Das erlaubt frühzeitige Maßnahmen zur Prozessoptimierung und Reduzierung der Qualitätskosten.

Je später Qualitätsmängel oder Defekte einer Beschichtung in der Prozesskette festgestellt werden, desto höher sind die negativen betriebswirtschaftlichen Auswirkungen – das ist keine neue Erkenntnis. Die Etablierung eines Prüfprozesses jedoch, der in der Produktionslinie eines Paint Shops in der Lage ist, jenseits des erfahrenen Fachblicks, schnell und zuverlässig Kriterien zu liefern, ob eine Oberfläche faktisch den Spezifikationen entspricht oder am Ende des Prozesses teurer Ausschuss zu erwarten ist, ist kein triviales Unterfangen.

Insbesondere bei mehrschichtigen Lackierungen bauen mehrere Prozesse aufeinander auf und Probleme aus vorangegangenen Prozessen pflanzen sich prinzipiell vom Substrat über die KTL-Beschichtung bis zum Klarlack fort. Fallen Defekte erst bei der finalen Qualitätskontrolle auf, ist in der Regel nur noch durch sehr aufwendige Analytik zu ermitteln, in welchem Prozessschritt der ursprüngliche Fehler auftrat. Nicht zuletzt der bis dahin aufgelaufene Zeitverzug macht es ausgesprochen schwierig, Ursachenforschung zu betreiben.

Angesichts der Tatsache, dass der Beschichtungsprozess, unter Berücksichtigung der Energie-, Kapital- und Umweltkosten, ungefähr 30 Prozent der gesamten Fahrzeugproduktionskosten ausmacht und bis zu 70 Prozent des Energiebedarfs eines Automobil-Montagewerkes in der Oberflächentechnik entsteht, kann die Notwendigkeit zur Prozessoptimierung und Minimierung von Ausschuss und Nacharbeit nicht hoch genug eingeschätzt werden.
Trotz großer Anstrengungen und hohem Aufwand in der Qualitätssicherung werden auch in der Automobilindustrie mitunter gravierende Qualitätsprobleme im Bereich der Lackierung nicht rechtzeitig erkannt: Laut NHTSA.gov mussten seit dem Jahr 2000 mehr als 25 Automodelle von unterschiedlichen Herstellern in erheblichen Stückzahlen aufgrund mangelhafter Lackqualität zurückgerufen werden. Solche Aktionen verursachen nicht nur immense direkte Kosten im Millionenbereich. Nicht minder problematisch sind indirekte Schäden zum Beispiel durch die aus solchen Vorfällen resultierende Unzufriedenheit der Kunden und deren Auswirkung auf die künftige Markentreue.

Abbildung 2: Visuelles Erscheinungsbild von Aluminiumoberflächen. Dargestellt sind die Proben 1-4 von links nach rechts. Verwendung eines ausschlaggebenden Filters (Daten: General Motors, Bild: Soliton)

Zusätzliche Herausforderung Multi-Substrat

Als zusätzliche Herausforderung im Bereich der Automobillackierung erweist sich zunehmend die durch den Zwang zum Leichbau befeuerte Tendenz zur Multi-Material-Karosserie. Additiv gefertigte Bauteile sowie Aluminium, Kunststoffe und Verbundwerkstoffe müssen nebeneinander ein absolut homogenes Lackbild abgeben. Schon ein scheinbar einfacher Werkstoff wie Stahl kann dabei sehr unterschiedliche Oberflächeneigenschaften haben, je nachdem ob er mit einer Ferrolegierung verzinkt, lösungsverzinkt oder doppelschichtverzinkt ist. Sogar scheinbar gleiche Werkstoffe können also unterschiedlich mit ein- und demselben Prozess interagieren [1].

Mit einem Wort, eine qualitativ hochwertige Appearance mit einem zunehmendem Kostendruck – unter anderem durch teure Rohstoffe und Energie – bei einem modernen Automobil zu erreichen, gewinnt an Anspruch. Da jede applizierte Lackschicht in ihrer Struktur und optischen Wirkung von den jeweils vorherigen Schichten beeinflusst wird, bieten sich große Potenziale, die Qualitätskosten zu senken, wenn mittels eines schnellen Prüfprozesses unmittelbar nach der Applikation und dem Trocknen einer Schicht eine Entscheidung getroffen werden könnte, ob die Oberfläche in Ordnung ist und weiterverarbeitet werden kann oder ob Nacharbeit notwendig oder sogar ein Verwurf am Ende der Prozesskette zu erwarten ist. Insbesondere wird es so möglich, in einem frühen Stadium Rückschlüsse auf die den Oberflächendefekten zu Grunde liegenden Fehlern in der Prozessführung zu ziehen.

Abbildungen 3-5 zeigen beispielhaft die Auswertung einer Beschichtungsreihenfolge durch das SurfSpec mit Höhendarstellung (Bilder: Soliton)

Mobile Kohärenz-Scanning-Interferometrie

Auf Anregung der Automobilindustrie wurde nun ein mobiles Messinstrument auf Basis der Kohärenz-Scanning-Interferometrie, früher bekannt als „Vertikal-Scanning-Interferometrie“ [4]. entwickelt, dass es ermöglicht, alle Phasen eines Beschichtungsprozesses schnell und in der Produktion zu charakterisieren. Es heißt SurfSpec 4D und wird seit von der Firma Soliton für den deutschsprachigen Raum vertrieben. Es handelt sich dabei um ein kompaktes und nur rund drei Kilogramm schweres System, das per Hand positioniert werden kann.. Das Gehäuse des SurfSpec hat eine maximale Kantenlänge von 15 Zentimetern, Vakuumfüße koppeln es stabil an Oberflächen in jeder Ausrichtung, so dass sowohl horizontale als auch vertikale Strukturen vermessbar sind. Vibrationen oder andere Umgebungseinflüsse beeinflussen das Messergebnis nicht. Marktgängige Messsysteme mit vergleichbaren Meßeigenschaften konnten dagegen bisher nur im Labor Anwendung finden.

„Mir ist bisher kein anderes Messgerät auf dem Markt bekannt, dass in Bezug auf Auflösung und Funktion und Flexibilität mit unserem Messinstrument vergleichbar ist“, berichtet Michael Zerbin, Vertriebsingenieur bei Soliton. Jede Messung und Oberflächenanalyse dauert weniger als 30 Sekunden, was eine Prozesskontrolle in Echtzeit und ohne Taktverluste ermöglicht. Das leistungsstarke Gerät bietet unabhängig vom Sichtfeld eine vertikale Auflösung im einstelligen Nanometer-Bereich und kann sowohl raue als auch glatte Oberflächen messen.

Messtechnisch geht das Gerät in vielen Bereichen weit über das hinaus, was frühere Forschungsprojekte und Studien als wesentlich bestimmt haben, um eine für das menschliche Auge relevante Aussage bei der Analyse von Oberflächen zu erhalten [2]. Um Strukturen mit einer Breite von bis zu 5 mm leicht zu quantifizieren, verfügt das SurfSpec 4CD über ein Sichtfeld von exakt 16 x 16 mm. Die laterale Auflösung beträgt 15 µm, die vertikale Auflösung ist kleiner 15 nm. Der RMS-Messbereich reicht von kleiner einem Nanometer bis größer als zwei Mikrometer. Bleche und Lacke können nahezu in allen Stufen während der Produktion gemessen werden (Abbildung 1).
So wird es möglich, vom rohen Substrat über die KTL-Beschichtung bis hin zum Klarlack jedem Prozessschritt einen strukturellen Fingerabdruck zuzuordnen und nach dem folgenden Prozessschritt an den gleichen Positionen erneut zu kontrollieren. Die Messung kann dabei in jeglicher Orientierung erfolgen, egal ob auf dem Kopf, an senkrechten oder gewölbten Oberflächen

Hochpräzise Topographieauswertung Filtern nach Frequenzen

Die Datendichte liegt bei 1,4 Million Datenpunkten pro Messung. Nicht weniger wichtig als die hochpräzise Erfassung der 3D-Daten der Topographie einer Oberfläche ist die Auswertung der Daten. Die mitgelieferte Software bietet deshalb automatische Funktionen, um zum Beispiel erhöhte Bereiche zu identifizieren, oder die Anzahl von Pinholes, sowie deren Dichte, Höhe und Volumen zu ermitteln. Auch die Detektion und geometrische Analyse von benutzerdefinierten Defekten ist möglich. Weiterhin ist ein Datenexport für weitere Analysen oder zur Korrelation mit anderen Instrumenten zu üblichen Softwaresystemen wie zum Beispiel Bandify 3D möglich.

Durch ein Filtern der Daten nach bestimmten Frequenzen können Oberflächenunterschiede sichtbar gemacht werden. Von General Motors und Michigan Metrology auf der „DCST Focus-Konferenz“ vorgestellte Untersuchungsergebnisse zeigen, wie hilfreich die Verwendung spezieller Filtereinstellungen sein kann. Abbildung 2 zeigt beispielhaft, wie Unterscheidungsmerkmale von visuell nahezu Identischen Aluminiumproben gefunden werden können. So führte in diesem Fall die Verwendung eines häufig genutzten „0,8 mm Filters“ noch nicht zu erkennbaren Unterschieden. Eine Filterung der Daten nach einer definierten, als ausschlaggebend für optische Effekte erkannte Frequenz wies dann allerdings sogenanntes „roping“ an zwei von vier Proben nach.  Tritt dieses „roping“ auf, ist später von einer ungenügenden Farbendqualität am Fahrzeug auszugehen. 

Das mitgelieferte Softwarepaket verfügt über Vielzahl von Analysewerkzeugen sowie eingebaute Funktionen in der Gerätesteuerungssoftware um solche Muster erkennen zu können. Da sich für jedes Material und jeden Prozessschritt entsprechende Ergebnisse auswerten lassen, lässt sich früh im Fertigungsprozess verhindern, dass Teile mit inakzeptabler Qualität produziert oder weiterverarbeitet werden. Unter Abbildung 6 ist eine lackierte Oberfläche unter Verwendung des Höhenbildes dargestellt, hierbei wurden höhere und tiefere Bereiche durch Falschfarben kenntlich gemacht. Dadurch werden Defekte sehr gut mit dargestellt. Nicht zuletzt erlaubt die umfassende Oberflächencharakterisierung durch die interferometrische Meßtechnologie auch die Qualifizierung kleiner Merkmale wie Vertiefungen. Von daher lässt es sich anhand eines Defektes nachverfolgen, ob dieser durch die folgenden Beschichtungen überdeckt oder neutralisiert wird. Das ist ein wichtiger Aspekt zur Vermeidung von unnötigem Ausschuss, da häufig nicht genau bekannt ist, wie groß ein Defekt sein darf, damit er nach der endgültigen Lackierung keinen Qualitätsmangel mehr darstellt. Deshalb gelten häufig sicherheitshalber strengere Kriterien, also notwendig. Mittels Surfspec lassen sich solche Defekte vor einer Folgebeschichtung präzise analysieren und nach Abschluss der Lackierung überprüfen, ob es zu sichtbaren Defekten gekommen ist. Im besten Fall können dann die Spezifikationen weiter gefasst werden und Kosten reduziert werden. Somit bietet das Messgerät SurfSpec vielfältige Potenziale, die Qualitätskosten durch eine frühzeitige Erkennung und Analyse von Fehlstellen zu reduzieren und damit die Beschichtungsqualität bei reduzierten Kosten zu steigern.   

Literaturverzeichnis

(1)    Nelson K. Atafuan et al., “Evolution of the Automotive Body Coating Process-A Review”, Coatings 2016, 6, 24

(2)    Don Cohen et al., “Substrate Surface Texture “Spectroscopy” and the Prediction of Final Paint Appearance”, PNT1004 USCAR Painted Surface Prediction Project SO242895

(3)    N. Jouini et al., “Multi-scale analysis of high precision surfaces by Stylus Profiler, Scanning White-Light Interferometry and Atomic Force Microscopy”, International Journal of Surface Science and Engineering 3(4):310 – 327, 2009

(4)    Caber, P. J. (1993). “Interferometric profiler for rough surfaces”. Appl Opt. 32 (19): 3438–3441

 

Soliton Laser- und Messtechnik GmbH
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