Am Puls der Zeit mit dem richtigen Rezept

Stark variierende Beschichtungsaufträge erforderten eine neue Beschichtungsanlage

Kabine, Pulverzentrum und Pulverpistolen sowie der Twin-Zyklon bilden die Basis für weitgehend automatisierte, schnelle und verlustarme Farbwechsel (Bild: Nordson)
Kabine, Pulverzentrum und Pulverpistolen sowie der Twin-Zyklon bilden die Basis für weitgehend automatisierte, schnelle und verlustarme Farbwechsel (Bild: Nordson)

Die H. P. Kaysser GmbH + Co. KG, ein Spezialist für Metallverarbeitungsprozesse, investierte in eine neue Pulverbeschichtungsanlage, um flexibler beschichten zu können. Ob kleine oder große Werkstücke in Einzel- oder Serienproduktion – die Beschichtung erfolgt nun effizienter und wirtschaftlicher.

Die H. P. Kaysser GmbH + Co. KG in Nellmersbach ist ein bekannter Ansprechpartner, wenn Industriekunden die eigene Fertigungstiefe schlank halten und dafür Teile der Metallbearbeitung ausgliedern wollen. H. P. Kaysser verfügt in diesem Bereich nun schon über 70 Jahre Erfahrung und kann seinen Kunden aus praktisch allen Wirtschaftsbereichen vom Engineering über die komplette Prozesskette Blech bis zur Logistik intelligente und wirtschaftliche Lösungen anbieten. Hierfür hat das Unternehmen auf einer Fläche von rund 30.000 Quadratmetern zahlreiche Prozesse für die mechanische Fertigung und vollautomatische Bearbeitung von Werkstücken aus Stahl, Guss, Edelstahl, Titan, NE-Metallen und Aluminium aufgebaut. Dabei sind sowohl Einzelstücke als auch kleine, mittlere oder große Serien möglich.

Aufgrund der hohen Prozesskompetenz profitieren die Kunden häufig gegenüber einer eigenen Fertigung durch Qualitäts-, Preis- und Geschwindigkeitsvorteile. H. P. Kaysser bietet aber nicht nur die Metallbearbeitung, sondern bei Bedarf auch Beschichtungsdienstleistungen an. In dieser Hinsicht zeigte sich jedoch vor einigen Jahren Modernisierungsbedarf, weshalb die Investition in eine neue Pulverbeschichtungsanlage
beschlossen wurde.

Beschichtungsanlage mit Spectrum Pulverzentrum im Vordergrund. Die Dichtstrom-Technologie sorgt für homogene Beschichtungsergebnisse (Bild: Nordson)
Beschichtungsanlage mit Spectrum Pulverzentrum im Vordergrund. Die Dichtstrom-Technologie sorgt für homogene Beschichtungsergebnisse (Bild: Nordson)

Von den ersten Anfängen der Pulverbeschichtung

Eine der Kernkompetenzen der Schwaben liegt seit jeher in der Oberflächentechnik und schon früh beschäftigte man sich mit Alternativen zur Nasslackierung. Als bei H. P. Kaysser im Jahr 1969 erstmals eine Pulverbeschichtungsanlage installiert wurde, war diese neue Technologie gerade marktreif und die Anlage eine der ersten und größten in Deutschland. Der Oldtimer ist übrigens noch heute voll funktionsfähig und war bis vor Kurzem täglich im Einsatz, auch seit 1989 eine zweite Anlage genutzt wurde, um größere Werkstücke automatisiert zu beschichten.

In den letzten 30 Jahren ist in der Industrie der Automatisierungsgrad bei der Beschichtung deutlich gestiegen, dazu gehören insbesondere begleitende Prozesse  wie etwa Farbwechsel und die Anlagenreinigung.
Die Modernisierung und Anpassung der Pulverbeschichtungskapazitäten an aktuelle und zukünftige Anforderungen hatte Thomas Kaysser, Sohn des Firmengründers und Geschäftsführer von H. P. Kaysser, schon längere Zeit beschäftigt. Bereits 2015 übertrug er seinem Sohn Timm Kaysser die Verantwortung für Planung und Bau einer neuen Anlage.

Der Twin-Zyklon sorgt für eine schonene und effektive Pulver-rückgewinnung und unterstützt verschleppungsfreie Farbwechsel (Bild: Nordson)
Der Twin-Zyklon sorgt für eine schonene und effektive Pulver-rückgewinnung und unterstützt verschleppungsfreie Farbwechsel (Bild: Nordson)

Wachstum sichern, Flexibilität erhöhen

„Wir waren auf der Suche nach dem richtigen Rezept für die hochwertigste Beschichtung in einem optimalen Prozess“, erinnert sich Timm Kaysser. „Dafür brauchten wir zum einen die besten Zutaten für die Erkennung und Codierung der Werkstücke, für den Transport, die Vorbehandlung, Maskierung und Beschichtung. Und zum anderen eine intelligente Steuerung, die alles
miteinander verknüpft.“

Das Lastenheft der Kaysser-Ingenieure  forderte bezüglich der Technologie und des Konzeptes der neuen Pulverbeschichtungsanlage eine langfristige und zukunftssichere Investition. Insbesondere sollte die Flexibilität in Bezug auf die Art der Kundenaufträge möglichst hoch sein.

Eine hohe Priorität hatte außerdem die Maximierung von Umweltschutz und Nachhaltigkeit. Außerdem war das Ziel, nicht nur  ausreichende Kapazitäten zu schaffen, um alle im Haus gefertigten Bauteile – unabhängig von deren Größe und Gewicht – in der eigenen Anlage beschichten zu können. Auch zusätzliche Kapazitäten um Fremdaufträge als Lohnbeschichter akquierieren zu könne, galt es einzuplanen.
Angesichts des Größenspektrums der zu beschichtenden Bauteile und der daraus folgenden Dimensionierung der Anlage zeigte sich schnell, dass dieses Vorhaben ein Investitionsvolumen im zweistelligen Millionenbereich sowie den Bau zweier komplett neuer Hallen erfordern würde.

Für die Planung und Konfiguration der Beschichtungstechnik griff Kaysser auf die langjährige Erfahrung von CS Oberflächentechnik zurück, die bereits an der Entstehung mehrerer großer Anlagen mitgewirkt hat. In einem ersten Schritt wurde Ende 2018 die erste Halle realisiert. Die Halle mit einer Grundfläche von 2.800 Quadratmetern beherbergt eine Durchlaufanlage, auf der Bauteile von
2,5 x 1,0 x 1,5 m Größe und einem Gewicht von 350 Kilogramm je Warenträger in Serie und mit geplanten acht Farbwechseln pro Tag bearbeitet werden können.

 

 

Der Handbeschichtungsplatz ist mit einer Glaskabine der Firma Rippert und dem Nordson Color-on-demand-System in Kombination mit dem Pulvermanagementsystem für zehn feste Farben ausgestatte (Bild: Nordson)
Der Handbeschichtungsplatz ist mit einer Glaskabine der Firma Rippert und dem Nordson Color-on-demand-System in Kombination mit dem Pulvermanagementsystem für zehn feste Farben ausgestatte (Bild: Nordson)

Flexibel durch Puffer- und Sortierspeicher

Die Werkstücke durchlaufen zunächst eine Durchlaufvorbehandlungsanlage mit sechs Zonen, um einen optimalen Korrosionsschutz samt Haftfestigkeit der Pulverbeschichtung sicherstellen zu können. Eine Vielzahl an Puffer- und Sortierspeichermöglichkeiten verhelfen trotz eines hohen Automatisierunggrades für die geforderte Flexibilität im Prozessdurchlauf. Das Herzstück der Pulverbeschichtungsanlage ist eine modifierte ColorMax3-Kabine von Nordson, sie ist nur 2,60 Meter lang und verfügt über ein tieferes Kabinendach.  Sie wird deshalb  als ColorMaxE bezeichnet, dabei steht „E“ für engineered.

Im Innern der Kabine übernehmen acht Nordson EncoreHD Automatik-Pulverpistolen mit einer Pulverversorgung über Dichtstrompumpen den Pulverauftrag. Im Zusammenspiel der ColorMax Kabine, den EncoreHD Pulverpistolen und dem SpectrumHD Pulverzentrum sind die bisher geplanten acht Farbwechsel, ohne dass der Bediener die Kabine betreten muss, kein Problem. Die widerstandsfähigen und besonders glatten Oberflächen der Kabinenbauteile sorgen für sehr gleichmäßige Lichtreflexionen und verbessern die Ausleuchtung der Kabine, um den Beschichtern die optische Qualitätskontrolle zu erleichtern. Zugleich hilft ihre Beschaffenheit in Verbindung mit einem intelligenten Luftstrom-Management dabei, die unerwünschte Anhaftung von Pulver schon während der Beschichtung zu vermeiden. Das erleichtert die Reinigung bei einem Farbwechsel. Während des Betriebs führen ein sanfter Airflow und regelmäßige Druckluftstöße überschüssiges Pulver der Mittelkanal-Absaugung zu, von wo es zu dem Twin-Zyklon zur Aufbereitung
weitergefördert wird.

Fertiger Kundenauftrag: Die verbesserte Beschichtungsqualität geht mit Materialeinsparungen einher. Schon in der Startphase zeichnete sich ein deutlich verringerter Pulververbrauch ab (Bild: Nordson)
Fertiger Kundenauftrag: Die verbesserte Beschichtungsqualität geht mit Materialeinsparungen einher. Schon in der Startphase zeichnete sich ein deutlich verringerter Pulververbrauch ab (Bild: Nordson)

Zeiteinsparung durch erleichterte Zugänglichkeit

Alle von Hand zu reinigenden Anlagenteile sind leicht zugänglich, was den Wechsel noch einmal zu beschleunigen hilft. Dafür, dass die benötigte Farbe zum richtigen Zeitpunkt zur Verfügung steht, sorgt das Spectrum HD Pulverzentrum mit Frischpulverzufuhr. Das System fördert das Pulver aus einem Karton mittels der HDLV-Pumpen zu den Pistolen. Der Overspray wird aus der Kabine über einen Twin-Zyklon abgesaugt und nach dem Abscheiden zu kleiner Pulverfraktionen über eine HDLV-Transfer-Pumpe dem Pulverzentrum zur Wiederverwendung zugeführt. Zuvor stellt noch ein Ultraschallsieb eine konstante Pulverqualität sicher. Dies zeigt, dass aus Gründen der Wirtschaftlichkeit wie auch der Sauberkeit viel Wert auf eine effiziente Pulverrückgewinnung gelegt wurde. Nur ein geringer Prozentsatz des im Kreislauf gefahrenen Pulvers muss ausgeschieden werden.
Gesteuert wird die gesamte Beschichtungsanlage mittels einer PowderPilot HD Touchscreen-Steuerung. Über eine Icon-basierte Bedieneroberfläche erhält der Anlagenführer jederzeit relevante Informationen über den Status der einzelnen Anlagen-Module sowie Schritt-für-Schritt-Anweisungen, wenn – wie zum Beispiel beim Farbwechsel – sein Eingreifen notwendig ist. Durch die weitgehend sprachunabhängige Steuerung in Verbindung mit der leicht verständlichen Führung des Anlagenführers durch komplexe Vorgänge lassen sich Bedienfehler weitgehend verhindern

Zusätzliche Handbeschichtung

Für Einzelstücke und für Werkstücke mit sehr komplexen Geometrien, die nicht in der Durchlaufanlage bearbeitet werden können, steht eine zusätzliche Anlage für die Handbeschichtung zur Verfügung. Ausgestattet mit einer Glaskabine von Systemintegrator Rippert und dem Nordson Color-on-demand-System in Kombination mit einem Pulvermanagementsystem für zehn feste Farben von der iOS Industrieofen-Service GmbH, sind hier bis zu 15 Farbwechsel pro Tag geplant, beschichtet wird auf verlust.

Eine solche Großinvestition ist selbstverständlich an die Erwartung einer langfristigen Nutzung gekoppelt. „Entscheider meiner Generation haben da nicht mehr nur überwiegend technische und kaufmännische Aspekte zu berücksichtigen. Heute geht es von Anfang an und auf der gleichen Prioritätsstufe auch um Umwelt-, Nachhaltigkeits- und Energiethemen“, sagt der Projektleiter und Enkel des Gründers. Schon deshalb kam eine Nasslackierung nicht in Frage. Durch die hochentwickelten Reinigungs- und Förderprozesse lassen sich unnötige Pulverabfälle minimieren.

Konsequenterweise wurde die neue Automatik-Anlage zudem nach den Standards des „Going Green Pro“ Pakets besonders energiesparend konfiguriert. Dabei sorgen effiziente Geräte in Kombination mit einer intelligenten Steuerung für eine fortlaufende Anpassung des Verbrauchs an die tatsächlich gerade benötigte Energiemenge. So werden, zum Beispiel wenn die Lichtschranke größere Lücken im Zulauf zur Kabine meldet, alle Pulverpistolen inaktiv geschaltet, sowie die Kabinenluftströmung angepasst und soweit wie möglich heruntergeregelt – bis an die gesetzlich vorgeschriebene Mindestabluftmenge. Im gleichen Zug erfolgt eine Leistungsreduzierung des Ventilators im Endfilter.

 

Inbetriebnahme 2018 verlief ohne Komplikationen

Nach rund 30 Monaten Planungs- und Bauzeit ging der erste Bauabschnitt, der die große Halle mit der darin stehenden Durchlaufanlage umfasst, im November 2018 erstmals in Betrieb. Dabei fiel den Betreibern von vorneherein die Verbesserung der Beschichtungsqualität auf. Während mit den alten Beschichtungsanlagen stark schwankende Schichtdiicken zwischen 150 und 200 Mikrometer die Regel waren, erzeilte die neue Anlage von Anfang an gleichmäßig 120 µm. Durch weitere Optimierungen ließen sich die applizierten Schichtdicken dann sogar auf bis zu 80 µm senken. In der Ende 2020 endgültig fertiggestellten Großteileanlage kommen Warenträger mit einer Traglast von bis zu 2.000 Kilogramm zum Einsatz. Teileabmessungen bis zu 4.000 mm Länge, 2.000 mm Breite und 2.200 mm Höhe können verarbeitet werden.

Bessere Qualität, geringer Materialverbrauch

Die erheblich verbesserte Beschichtungsqualität geht mit großen Materialeinsparungen einher. Für die H. P. Kaysser Anlage war im Vorfeld eine Reduktion des Pulverbrauches um 30 Prozent errechnet worden. Dementsprechend zeichnete sich von Anfang an ein stark reduzierter Pulververbrauch ab. Auch ein anderer Wert belegt den besonders wirtschaftlichen und nachhaltigen Betrieb der Anlage. Die für die Automatik-Kabine geforderte Recyclingquote von 96 Prozent konnte bereits im Anlaufbetrieb erreicht werden. Demzufolge füllt sich die BigBag-Sammelstation nur langsam mit ausgefilterten Pulverlackresten.

50 Prozent Kapazitätssteigerung sichert langfristiges Wachstum

Und auch bei der Zusammenstellung der Anlagen-Module haben die Unternehmer die richtige Entscheidung getroffen. Die Kombination effiziente Dichtstrom-Technologie, hochautomatisierte Komponenten, eine integrierte Anlagensteuerung mit Barcode-Erkennung der Warenträger und nicht zuletzt die Kapazitätssteigerung um 50 Prozent sichert dem Geschäftsbereich Oberflächentechnik bei dem Spezialisten für Metallverarbeitungsprozesse ein langanhaltendes weiteres Wachstum. Timm Kayssers Bilanz ist in diesem Sinne durchweg positiv: „Alles sieht danach aus, als hätten wir gemeinsam mit unseren Industriepartnern und Handwerkern etwas wirklich gut funktionierendes auf die Beine gestellt. Beste Zutaten und nur wenige Köche, die sich über das Rezept einig sind: Das war auch hier der Schlüssel zum Erfolg.“

Nordson Deutschland GmbH
www.nordson.com